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CarbonCycleCultureClub:
Rückblick: Grüner Kohlenstoff

Am 25. November 2021 lud das Forum Rathenau erstmalig zum hybriden Carbon Cycle Culture Club (C4) ein. Expertinnen und Experten diskutierten zum Auftakt Perspektiven rund um „Grünen Kohlenstoff“ im stillgelegten Kraftwerk Zschornewitz. Das Event wurde live gestreamt: Zum Video.

Das Auftaktthema „Grüner Kohlenstoff“ fokussierte, Kohlenstoff innerhalb des Kreislaufs zu nutzen, anstatt neue fossile Quellen zu erschließen. Das ist wichtig, um die Kreislaufbilanz nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Zu Gast im Podium waren

Prof. Bernd Meyer, Lehrstuhl für Energie- und Verfahrenstechnik der TU Bergakademie Freiberg.

Martina Schön, Ortsbürgermeisterin von Zschornewitz und ehemalige Kraftwerksmitarbeiterin

Prof. Hermann Klöckner, Fachbereich Design der Hochschule Anhalt

Dr. Joachim Schulze, Geschäftsführer bei JS BioConsulting GmbH und Vorstandsvorsitzender des BioEconomy Cluster e.V.

Inhaltlicher Rückblick:

Das Kraftwerk früher und heute

“Es war sehr traurig, dass die Mitarbeiter des Kraftwerks ihre eigene Arbeit abgerissen haben” nach der Wende, erinnert sich Martina Schön, Kraftwerks­seniorin und Ortsbürger­meisterin von Zschornewitz.

Der Ort hatte vom Kraftwerk gelebt. Immer, wenn das Kraftwerk gewachsen ist, wuchs auch der Ort. Als das Kraftwerk stillgelegt wurde, war die Angst groß, dass der Ort mit ihm eingeht. Das konnten die Zschorne­witzer glücklicher­weise abwenden. Umso größer ist die Freude, dass sich auch der erhaltene Teil des Kraftwerks wieder öffnet. Jetzt wird das Industriedenkmal wieder mit Leben gefüllt. Nicht nur durch Menschen, sondern auch durch Ideen. “Wir sind auf einem guten Weg“, so Schön.

Diskussionskultur: „Farbenlehre“ des Kohlenstoffs

Der Diskurs darf nicht nur in Schwarz und Weiß geführt werden, stellt Prof. Ralf Wehrspohn fest. Auch die Grautöne der Kohlenstoff­kreisläufe müssen verhandelt werden. Die Akzeptanz von Kohlenstoff sei in der Gesellschaft stark geschwunden. Man spricht von Dekarbonisierung statt Defossilisierung. Strom sei für die Politik wichtiger als synthetische und biologische Kraftstoffe. Plastikmüll werde mit Kohlenstoff gleichgesetzt – Kreislauf­wirtschaft gefordert, aber nicht aktiv vorangetrieben.

Auf der anderen Seite bestehen wir zu über 25 % aus Kohlenstoff, essen ihn jeden Tag. Man nennt uns in Science-Fiction Filmen “Kohlenstoffeinheiten”. Das Kohlen­stoff­dioxid in der Atmosphäre ist zu 97 % natürlichen Ursprungs. Holz und Stroh sollen in Zukunft den Baustoff Beton ersetzen: beides aus Kohlenstoff. „Unser liebster Edelstein ist Diamant, purer Kohlenstoff“, erinnert Wehrspohn.

Sein Fazit: Es bedarf eines Dialoges, um das Fremdeln mit dem Kohlenstoff zu reduzieren, den das Forum Rathenau heute beginnen will. Auf der anderen Seite will der Verein auch die Komplexität des Sachverhalts diskutieren und versuchen, sich der Problematik gemeinsam zu nähern.

Podium des ersten C4 vor Ort in Zschornewitz: Prof. Hermann Klöckner, Martina Schön und Moderator Prof. Ralf Wehrspohn

Was ist „Grüner Kohlenstoff“ eigentlich?

Laut Dr. Joachim Schulze bedeutet „Grüner Kohlenstoff“, keine fossilen Quellen heran­zuziehen, sondern die biogenen Ressourcen wesentlich besser zu nutzen. Diese biobasierte „grüne“ Wirtschaft ermögliche es, Kohlenstoffkreisläufe besser zu schließen.

Beispielsweise werden bestimmte Reststoffe aus der Lebensmittel- und Agrarindustrie nicht verarbeitet, sondern verrotten auf einem Kompost. Dieser Prozess produziert eine Menge CO2. Die Reststoffe könnte man anderweitig verarbeiten: Weizenstroh lässt sich zu Ethanol oder über Milchsäure zu Poly­milch­säure für biologisch abbaubare Kunststoffe verarbeiten.

Nebenstoffe aus der Stärkeindustrie wie Pülpe und Kleie oder Lebensmittelreste ließen sich an Insektenlarven verfüttern, die daraus hochwertige Proteine und Fette produzieren. Die Proteine finden in der Aquaponik bei der Herstellung von Speisefischen Anwendung. Die Fette sind ein geeigneter Ersatz für Palmöl, aus denen Hochleistungs-Polyamide (Kunststoffe) für die Beschichtung von Möbeln und Ober­flächen gewonnen werden können.

Reststoffe in Kreisläufe überführen – Rohstoffsenken müssen zu Kreisläufen umgedacht werden. Bereits beim Erstellen neuer Produkte muss man daran denken, “was kann ich daraus jemals wieder neu machen?”, erklärt Dr. Schulze. Der Bioeconomy e.V., dessen Vorstandsvorsitz er innehat, versucht dies durchzusetzen und zu verbreiten.

Zwei Redner des Podiums waren digital zugeschaltet: Dr. Joachim Schulze und Prof. Bernd Meyer

Kohlenstoff kann „grün“ werden

Prof. Bernd Meyer macht deutlich, dass Kohlenwasserstoffe die wichtigsten Kohlenstoff­verbindungen für uns Menschen sind. Kohlenstoff kann auch “grün” werden, indem man ihm mit „grünem“ CO2-neutralen Wasserstoff verbindet und als chemischen Energiespeicher oder Ressource nutzt.

Am Beispiel der Kraftstoffproduktion sind drei Kreisläufe denkbar:

  • Bei der Produktion von strombasierten Treibstoffen (E-Fuels) wird CO2 aus der Atmosphäre abgeschieden und mit klimaneutralem Wasserstoff vereint, was jedoch riesige Mengen erneuerbare Energien benötigt.
  • Man könnte sich die enorme Syntheseleistung der Natur zu nutzen machen, indem man Biomasse und andere Abfälle wie Altholz nutzt. In einer Teilverbrennung könnten diese Reste in abfallbasierte Treibstoffe (W-Fuels) umgesetzt werden. Dabei werden dennoch geringe Menge CO2 freigesetzt.
  • Besonders interessant ist die Kombination beider Wege (WE-Fuels). Neben dem Potenzial der Biomasse wird auch das freigesetzte CO2 mit klimaneutral produzierten Wasserstoff (e-H2) zu Kraftstoffen umgesetzt.

Heutzutage werden große Abfallmengen verbrannt, deren Kohlenstoff man in den Kreislauf zurückführen könnte. Das Potenzial von sogenannten Ersatz­brenn­stoffen und Sortierresten (z.B. die gelbe, schwarze und braune Tonne) in Deutschland liegt bei bis zu 10 Milliarden Kilogramm pro Jahr.

Diese Abfälle lassen sich mit Kohlenstoff-Kreislauf-Technologien wieder in Olefine (Kohlenwasserstoffverbindungen für Kunststoffe) umwandeln. Nutzt man das Potenzial der Kombination mit e-H2 im Stil der WE-Fuels, ließe sich bis zu 50 % des Olefinbedarfs von Deutschland decken – ohne auf fossile Ressourcen zurückgreifen zu müssen. Analog ließe sich aus Alt- und Restholz, das bisher zum größten Teil verbrannt wird, in Kombination mit e-H2 bis zu 50 % des deutschen Kraftstoffbedarfs decken.

Prof. Bernd Meyer erläutert Kreislauftechnologien.

Kohlenstoffdioxid hat ein Design- und ein Kommunikations­problem

„CO2 hat ein Designproblem“, analysiert Prof. Hermann Klöckner. Wir riechen, schmecken und sehen es nicht – weshalb die Menschen es nicht unmittelbar spüren können. Das macht es schwierig, sich über die Wirkung von CO2 bewusst zu werden. Die Menschen denken häufig monokausal: Ursache – Wirkung. Die wenigsten von uns könnten bisher mit den Regelkreisläufen agieren, die in der Kohlenstoffwirtschaft unabdingbar werden.

Ein Projekt seiner Studierenden soll das Gas wieder sichtbarer machen und eine Farbe geben. CO2 hat einen Anteil von 400 ppm (parts per million) in der Atmosphäre überschritten. Auf ein Smartphone übertragen entspricht das ungefähr 800 Pixeln. Die Studierenden haben eine App entwickelt, die mittels Bilderkennung helfen soll, CO2-Quellen sichtbar zu machen.

Kohlenstoffdioxid habe laut dem Designexperten außerdem ein Kommunikationsproblem. Vor knapp 100 Jahren, als sich die Region zu einem Industrie- und Technologiestandort entwickelte, gründete sich auch das Bauhaus. Hier war, so beschreibt es Prof. Klöckner, das “Silicon Valley” der damaligen Zeit. Die Bauhäusler und Bauhäuslerinnen konnten sich auf einen Fakt einigen: Der Aufbruch in die neue Zeit musste gestaltet werden. Einen ähnlichen Dialog beginne nun das Forum Rathenau.

Er sieht viele Beispiele, dass sich etwas tut. “Made in Germany” hätte nun wieder die Chance, an Bedeutung zu gewinnen.

Presse: Bericht der Mitteldeutschen Zeitung zum ersten C4 in Zschornewitz

Weitere Fragestellungen, Zukunftstechnologien und -materialien sowie Ausblicke ins Neue Europäische Bauhaus können Sie in der Aufzeichnung unseres Livestreams verfolgen:

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