Vergangene Veranstaltung
CarbonCycleCultureClub:
Rückblick: Neues Europäisches Bauhaus

Das Sachsen-Anhalt Projekt

Am 27. Januar 2022 lud das Forum Rathenau ab 18 Uhr abermals zum hybriden Carbon Cycle Culture Club (C4) ins Kraftwerk Zschornewitz ein. Fachexpert­innen und -experten diskutierten Perspektiven rund um das Thema „Neues Europäisches Bauhaus – Das Sachsen-Anhalt Projekt“. Das Event wurde live gestreamt. Zum Video.

Wo sich die Bauhaus- und Bergbauachse schneiden, entsteht eine Transformationsregion

Attraktives und nachhaltiges Zusammenleben – das sind Ziele des Neuen Europäischen Bauhauses (NEB). Die anvisierte Vorreiterrolle kombiniert ein großes Spektrum an Arbeitsfeldern: Kreislauf­wirtschaft und Kultur, Inklusion und soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz und ein gelungener Strukturwandel sind Thema.

Ich möchte, dass Next­Genera­tionEU eine europäische Reno­vierungs­welle auslöst und unsere Union zu einem Vorreiter in der Kreislauf­wirtschaft macht.

– Ursula von der Leyen

Wie gelingt ein systemischer Wandel im Bauwesen, das nach einem Bericht des UN environment programme 2019 auch für 38% der anthropogenen Emissionen verantwortlich war? Was sind Maßnahmen und Technologien, Zwischenziele und Zukunfts­strategien, um die Visionen der Akteure dieser Arbeitsfelder umzusetzen? Welche Perspektiven gibt es noch?

Das NEB lädt zum Experimentieren und Vernetzen ein. Der Carbon Cycle Culture Club (C4) in Zschornewitz, der sich inhaltlich und regional mit Kreislauf­wirtschaft und Strukturwandel ausein­andersetzt, bietet diesem Austausch eine gemeinsame Plattform.

Zu Gast auf dem hybriden Podium waren:

  • Dr. Barbara Steiner, Direktorin und Vorstand Stiftung Bauhaus Dessau
  • Peter Vogt, Referent für strategische Kommunikation der Stabsstelle “Strukturwandel im Mitteldeutschen Revier”
  • Prof. Dr.-Ing. Jürgen Ruth, Konstruktives Entwerfen und Tragwerkslehre; Massiv­bau II an der Bauhaus-Universität-Weimar, vertreten durch Lukas Kirschnick, Doktorand Universität-Weimar und im bauhaus.institut für experimentelle Architektur (ifex)
  • Prof. Frithjof Meinel, emeritierter Professor für Industriedesign der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, Schwerpunkt Design im Kontext von Ökologie und Nachhaltigkeit
  • Prof. Dr. Jörg Bagdahn, Präsident der Hochschule Anhalt und Professur “Werkstoffe der Photovoltaik“

Inhaltlicher Rückblick:

Jahresbeginn in Zschornewitz

Es tut sich einiges in der Gemeinde Zschornewitz, berichtet Ortsbürgermeisterin Martina Schön, zur Begrüßungsrunde im vierten Carbon Cycle Culture Club. Eine Änderung des Flächennutzungsplanes werde dafür sorgen, dass mehr Bauland zur Verfügung steht. Diese weitere Maßnahme gegen den demografischen Wandel in der Region sei besonders für junge Familien interessant.

Hybrides C4 Podium im Kraftwerk Zschornewitz am 27.01.2022
Hybrides C4 Podium im Kraftwerk Zschornewitz am 27.01.2022

Seit vier oder fünf Jahren arbeite der Ort außerdem gemeinsam mit der MLK Consulting GmbH am „Repowering“ des alten Windparks. Vier neue und effiziente Anlagen sollen entstehen. Die Chancen stünden gut, dass 2022 die Freigabe beim Immissionsschutz durch den Landkreis erfolgt. Die lange Projektdauer ist für Schön ein weiteres Zeichen dafür, wie viel Zeit es brauchen wird, eine Energiewende herbeizuführen.

Eine Fiktion über Chancen des Sachsen-Anhalt Projekts

Das Neue Europäische Bauhaus sei eine große Chance, die bereits vom Namen her eng mit der Stiftung Bauhaus Dessau verbunden ist, sagt Dr. Barbara Steiner. Für sie ist klar: „Es geht auch ganz wesentlich um einen kulturellen Wandel, wenn wir über Nachhaltigkeit nachdenken.“

Ein regionaler Verbund, zu dem die Stiftung Bauhaus Dessau, das Forum Rathenau, die Hochschule Anhalt, die Burg Giebichenstein Kunsthochschule, Forschungsinstitute der Fraunhofer-Gesellschaft sowie die Stadt Zeitz gehören, hat den Aufruf dieser EU-Initiative beantwortet und „Das Sachsen-Anhalt Projekt“ als EU-Projekt ins Leben gerufen.

Dr. Barara Steiner im ehemaligen Kraftwerk Zschornewitz zum „Neuen Europäisches Bauhaus – Das Sachsen-Anhalt Projekt“
Dr. Barara Steiner im ehemaligen Kraftwerk Zschornewitz zum „Neuen Europäisches Bauhaus – Das Sachsen-Anhalt Projekt“

Um eine bessere Vorstellung von den Zielen des Projekts zu bekommen, beschreibt Dr. Steiner ihre realistische Fiktion vom Jahr 2045:

„Die Verstromung von Kohle wurde 2038 eingestellt. Das Mitteldeutsche Revier stehe nun für alternative Energien, nachhaltiges Wachstum und sozioökologische Lebensformen. Bereits 2026 gründeten sich spezialisierte Unternehmen, die Bauteile wiederverwenden und neue Baustoffe entwickelten.

Innovative Technologien trugen dazu bei, die Potentiale dieser Ansätze aufzuzeigen. In der Stadt Zeitz entstand ein genossenschaftliches Wohnquartier. Im Land Sachsen-Anhalt führten Bildungsdebatten zu Programmen, die inner- und außerschulisches Lernen miteinander verzahnen. Kulturelle Bildung für Kinder und Jugendliche ist nun Standard. Gemeinsam gelang es, eine Gesetzgebung zu entwickeln, energieintensive Industrien zu transformieren und den Weg zur europäischen Klimaneutralität zu ebnen.

Durch das Zusammenspiel von Kunst, Architektur, Wissenschaft, Technologie und Handwerk im „Sachsen-Anhalt Projekt“ wurden die Grenzen der einzelnen Disziplinen überwunden. Die Stadt Zeitz ist seit 2038 an das schnelle S-Bahn-Netz angeschlossen – die Einwohner und Einwohnerinnen haben sich seit den 2020er-Jahren verdoppelt.“

Diese Fiktion sei besonders deshalb realistisch, da alle beschriebenen Visionen im Konzept des „Sachsen-Anhalt Projekts“ bereits angeschoben seien. „Beautiful, sustainable, together – Schön, nachhaltig, gemeinsam“ bedeute, dass die europäischen Projekte neben ihrer reinen Funktionalität auch bereichernd und inklusiv sein müssen. „Man könnte auch sagen: Das Neue Europäische Bauhaus soll die Seele des Green Deals sein“, so Steiner.

„Alleine kann man nichts schaffen. Man braucht Allianzen.“

Die Prototypen, die in Zeitz entwickelt würden, sollen anschließend über die regionalen Grenzen ausstrahlen und auf europäische sowie außereuropäische Ebene übertragen werden. „Und warum bitte Zeitz? Weil in Zeitz schon sehr viel passiert“, resümiert Steiner. Es bringe nichts, Konzepte von außen überzustülpen, sondern es müssen vorhandene Initiativen – wie sie in der Stadt vorhanden sind – weiterentwickelt werden.

Zeitz als Modellstadt

Auch die Hochschule Anhalt ist eine Einrichtung, die einen vielfältigen Wandel durchlaufen habe, sagt Hochschulpräsident Prof. Jörg Bagdahn. Neben den Impulsen aus den Bereichen Architektur und Design lieferten auch die Ideen der internationalen Studierenden, Absolventen und Promovierenden einen entscheidenden Beitrag für die Vorhaben im Strukturwandel.

Prof. Jörg Bagdahn in der Schaltwarte des ehemaligen Kraftwerk Zschornewitz.
Prof. Jörg Bagdahn in der Schaltwarte des ehemaligen Kraftwerk Zschornewitz.

Bei den gravierenden Veränderungen, die damit einhergehen, müsse man auch die Bevölkerung mitnehmen. Das gelinge zum einen auf der technischen Ebene, aber auch besonders durch Design, Kunst und Architektur. Zeitz werde eine Modellstadt für diesen Prozess, so Bagdahn. Über den regionalen Aspekt würden diese Ideen außerdem in die vielfältigen Heimatländer der Angehörigen der Hochschule Anhalt getragen.

Beteiligung ist zentrales Element in der Transformation

Sachsen-Anhalt wurde als Bauhaus-Land bei der Initiative des Neuen Europäischen Bauhauses hellhörig, erzählt Peter Vogt von der Stabsstelle “Strukturwandel im Mitteldeutschen Revier”. Für das Bundesland stünde ein tiefgreifender Transformationsprozess bevor, besonders im südlichen Teil, der zum Mitteldeutschen Revier gehört.

Peter Vogt und Prof. Ralf Wehrspohn (links) zum Strukturwandel im Mitteldeutschen Revier.
Peter Vogt und Prof. Ralf Wehrspohn (links) zum Strukturwandel im Mitteldeutschen Revier.

Dieser Wandel werde ökologisch, ökonomisch und sozial sein – wahrscheinlich aber nur dann gelingen, wenn es auch ein kultureller Wandel werde, so Vogt. Beteiligung müsse ein zentrales Element sein, da man eben nicht nur von außen initiieren könne. Die Tiefe und Breite, mit der sich das Netzwerk des Sachsen-Anhalt Projekts mit konkreten städtebaulichen Maßnahmen befasse, könne durch eine einzelne Kommune nur schwer geleistet werden. Insofern liefere die Initiative auch „Schützenhilfe“ für die Revierkommunen. „Dass das alles gelingen kann, dafür wollen wir Vorbild sein“, fasst Vogt zusammen.

Beispiel: Das Potential des traditionellen Blockbaus heute

Digitalisierung und Nachhaltigkeit können miteinander verbunden werden, verdeutlicht Lukas Kirschnik, Doktorand an der Bauhaus-Universität Weimar. Die Auswirkungen des Klimawandels hätten deutschlandweit Baumsterben hervorgerufen, wodurch schätzungsweise 160 Millionen Kubikmeter Totholz angefallen seien. Teile davon würden sich für den traditionellen Blockhausbau anbieten.

Lukas Kirschnik über das Potential von Digitalisierung im Blockhausbau.
Lukas Kirschnik über das Potential von Digitalisierung im Blockhausbau.

Diese Technik sei zwar handwerklich aufwendig, biete aber auch zahlreiche Vorteile und könne durch digitale Planungs- und Fabrikationsmethoden vereinfacht werden. So könne ein großes Potential, auch für komplexe Grundrisse und Häuser erschlossen werden:

Zunächst wird die 3D-Struktur der Baumstämme präzise digitalisiert und in einer Datenbank gespeichert. Ein Script errechnet, wie die Stämme mit wenig Verschnitt aufeinander gefügt werden können. Der Verbindungswinkel der Baumstammwandecken bliebe dabei flexibel anpassbar. Das gebe dem Architekten in der Entwurfsphase die gewohnte Freiheit. Die 3D-Daten liefern außerdem die Berechnungsgrundlage für die Bearbeitung der Stämme mit einer CNC-Fräse.

Nachwirkungen des Bauhauses nach 1933

Einen Ausflug in die Vergangenheit des Bauhauses gibt Prof. Frithjof Meinel, emeritierter Professor für Industriedesign der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. Von der Gründung 1919 durch Walter Gropius bis zur erzwungenen Auflösung 1933 durch die Nationalsozialisten wurde der Grundstein für eine heute weltweit bekannte Bewegung gelegt, die Kunst und Architektur verband.

Die Emigration der Bauhausmitglieder verstärkte die Verbreitung der Bauhaus-Ideen. In der DDR wäre das Bauhaus zunächst nicht tragbar gewesen, bis unter Erich Honecker mit der Wiedereröffnung des Bauhaus Dessau 1976 ein Wiederaufleben stattfand.

Prof. Frithjof Meinel gibt einen Rückblick in die Nachwirkungen der Bauhaus-Bewegung.
Prof. Frithjof Meinel gibt einen Rückblick in die Nachwirkungen der Bauhaus-Bewegung.

Prof. Meinel schildert den Wechsel zwischen Ideologie und Innovation in der Nachwirkungszeit des Bauhauses und die damit verbundenen Risiken, die es auch heute noch gäbe: „Man wird sicherlich merken, dass da Leute aufspringen, die uns irgendetwas als „Grün“ verkaufen wollen, in Wirklichkeit aber nicht nachhaltig sind.“ Im Kontext der EU-Initiative müssen die besten Ideen gefördert werden und von einigen Abstand genommen werden.

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