Was darfs zu Weihnachten sein, die vegane Weihnachtsgans oder das Mammutsteak aus dem Reagenzglas?
Der CarbonCycleCultureClub (C4) mit dem Titel „Low Carbon: Food Design auf Kohlenstoffbasis“ fand am Donnerstag, 19. Dezember 2024 von 18 bis 21 Uhr im Städtischen Kulturhaus Bitterfeld-Wolfen mit weihnachtlichem Low-Carbon-Algen-Büfett statt. Die Teilnahme war auch via Livestream möglich. (Dann aber ohne Verkostung).
Fragen, die wir mit Expert:innen diskutierten waren: Wie kann eine Ernährungswende aussehen? Welche Wege gibt es, den CO2-Fußabdruck unserer Nahrungsmittel zu senken? Neue Möglichkeiten der effizienteren Umwandlung von pflanzlichen Proteinen in menschlich essbare Proteine standen dabei im Fokus: Wie können die Umwandlungseffizienzen auf 100 Prozent gesteigert werden? Moderiert wurde die Veranstaltung von Thies Schröder, Projektleiter des Forum Rathenau.
Diskutiert wurde dabei die Ernährungswende. Digital zu Gast beim C4 war Professor Charli Kruse. Der Leiter von CellTec Systems, ein junges Spin-Off der Fraunhofer-Gesellschaft und der Universität zu Lübeck, geht davon aus, dass der weltweite Fleischkonsum in etwa 15 Jahren zu einem nicht unwesentlichen Teil mit künstlich erzeugtem Fleisch gedeckt werden wird. Das 2021 gegründete Biotechnologie-Unternehmen mit Sitz in Lübeck ist nach eigenen Angaben der erste europäische Systemanbieter für industrielle Zellvermehrung. Mit europaweitem Fokus wird CellTec künftig spezielle Verfahren und Komponenten wie Zelllinien, Prozesstechnik, Maschinen und Anlagenteile liefern. Dabei geht es nicht nur um Cultured Meat als Bestandteil der Ernährung, sondern auch um Alternativen zu Tierversuchen in der Pharma- und Kosmetikbranche sowie um die Herstellung von Tierfutter, Impfstoffen oder komplexen Biomolekülen.
Vom Anbau bis zum Topf tragen Tierhaltung, Energieverbrauch und Rodungen derzeit etwa ein Drittel zu den weltweiten Emissionen klimaschädlicher Treibhausgase bei. Die Methan-Emissionen (CH₄), vorwiegend aus der Darmgärung von Wiederkäuern in der Tierhaltung, machen einen großen Anteil der Emissionen innerhalb der Nahrungsmittelsysteme aus, die durch landwirtschaftliche Erzeugung verursacht werden.
Bei der Herstellung von Rindfleisch ist die Umwandlungseffizienz von pflanzlichen Proteinen in tierische Proteine, die der Mensch verzehren kann, sehr gering. Sie liegt bei drei Prozent. Bei Hühnern liegt sie bei zwölf Prozent und bei Schweinen sind es zehn Prozent.
Die Umwandlungseffizienz bei pflanzlichen Produkten, die der Mensch anbaut und verzehrt, liegt ungefähr bei 50 Prozent. Bei Weizen beispielsweise ist sie sehr gering. Hier werden vom Menschen häufig nur die Samen, das Korn, gegessen. Die nicht nutzbare Biomasse kann wiederum den Nutztieren verfüttert werden. Die Tiere können diese zwar wieder in für den Menschen essbare tierische Proteine umwandeln, allerdings mit den zuvor beschriebenen niedrigen Umwandlungseffizienzen.
Daher die Frage: Geht das besser als in der Natur? Zukunftsweisende Antworten auf diese Schlüsselfrage des Anthropozän werden auch den Erhalt von Biodiversität, den Schutz der Wildtiere sowie der Vermeidung von Tierleid ins Auge fassen.
Aber was ist zukünftig ein Tier? Welche Zukunft hat die Landwirtschaft? Bei im Reagenzglas gezüchtetem Fleisch ist die Proteineffizienz besser, denn das Zellwachstum findet gezielt in der Nährlösung statt. Dabei werden Stammzellen beispielsweise in Muskelzellen differenziert. Aus diesen Stammzellen können fortlaufend neue Zellen gewonnen werden.
Der C4-Impulsreferent Professor Kruse entwickelt entsprechende Konditionen, um Zellen so zu differenzieren, wie das gewünschte Ergebnis ist. Mit dem Ziel beispielsweise Fischfleisch zu erzeugen, wie Blauflossen-Thunfisch. Die direkte Dosierung der Proteine hat einen sehr hohen Wirkungsgrad – im Gegensatz zur Natur. Professor Kruse gab Einblicke in seine Forschung mit Zellen, die unter anderem für Nahrungsmittel eingesetzt werden könnten. Wenn man den Analysten glaube, werde in etwa 25 Jahren zirka ein Drittel der Fleisch- beziehungsweise Fleischersatzprodukte aus zellbasierten Produkten hergestellt werden. Er erläuterte, dass mit einem Gelbilder in einer Nährlösung tierische Zellen in kleinen Bioreaktoren bereits gezüchtet werden können. Die Zellen können dort abgeerntet werden. Derzeit müssten die Prozesse noch standardisiert werden.
Vielleicht können wir so auch einmal ein Mammutsteak produzieren und verzehren, so Forum Rathenau Vorstandsvorsitzender Professor Ralf Wehrspohn. Hühnerfleisch, in vitro gezüchtet, ist in den USA und in Singapur bereits für den Verzehr zugelassen.
Während in Deutschland der Markt für pflanzliche Lebensmittel boomt (2,2 Milliarden Euro im Jahr 2023), finden wir in Deutschland kultivierte Fleischprodukte, mithilfe von Zellkultivierung hergestelltes Fleisch, bisher nicht im Supermarktregal. In der EU sind allerdings erste Zulassungsanträge für Produkte aus Zellkulturen eingereicht worden.
Die Branche für kultiviertes Fleisch entwickelt sich laut dem Good Food Institute Europe (GFI Europe) rasant. Im Jahr 2022 haben europäische Unternehmen, die Laborfleisch produzieren, Investitionen von 120 Millionen Euro angezogen. Zellfleisch-Start-ups und erfahrene Biotech-Unternehmen arbeiten mit Hochdruck an tierfreien Kulturmedien, in denen Fleischzellen gezüchtet werden. Hier spielen Algen eine wichtige Rolle.
Aber auch als Nahrungsmittel sind Algen interessant. Gemeinsam mit dem Biologen Jörg Ullmann ist Kirstin Knufmann Vorreiterin zum Thema Algen als Nahrungsmittel der Zukunft. Beide waren beim C4 auf dem Podium zu Gast.
Kombu, Chlorella oder Meeresspaghetti, das klimafreundliche Superfood liefert Proteine und Nährstoffe, die der Mensch sonst aus tierischen Produkten bezieht. Und der meist grüne oder braune Leckerbissen aus dem Wasser bindet CO₂. Im Geschmack beispielsweise mild und nussig, sind sie nutzbar als Beilage oder Gewürz. Chlorella beispielsweise hat einen Proteingehalt von über 50 Prozent, also mehr als ein Ei oder ein Schnitzel. Der Weg zum Algensteak werde noch ein paar Jahre dauern, so Ullmann, Managing Director einer der größten Algenfarmen Europas in Klötze, Sachsen-Anhalt. Das habe damit zu tun, dass die Produktionsmethoden noch teuer sind im Vergleich zu beispielsweise Erbsen- oder Sojaprotein. Aber mit der entsprechenden Technologie könne sich das ändern. In der Mikroalgenfarm in Klötze wachsen in 500 Kilometer langen Glasröhren winzig kleine Algen für den Weltmarkt mittels einer neuartigen und patentierten Anbaumethode. Diese Algen werden für die Nahrungs- und Futtermittelherstellung und die Kosmetikindustrie produziert.
Ullmann zeigte einen Blick in die Algenfarm, die bereits seit 25 Jahren in Klötze steht. Die Chlorella-Algen, einzellige Pflanzen, die im Mikroskop wie ein kleiner grüner Ball aussehen, wachsen dort sehr schnell. Fürs bloße Auge sind die einzelnen Partikel nicht erkennbar. Einst war es die erste Mikroalgenfarm Europas. Inzwischen gibt es schon 450, aber sie gehört noch immer zu den größten Algenfarmen der Welt vor allem auch mit den Kooperationen, die gestartet wurden. Ullmann sagte, dass zwei bis fünf Prozent der Meeresoberfläche laut Forschungen ausreichen könnten, um zehn Milliarden Menschen ausreichend mit Nährstoffen durch Algen zu versorgen. Derzeit wären die Technologien jedoch noch nicht vorhanden, um so große Flächen zu „beackern“.
Kirstin Knufmann, die Gründerin der PureRaw, Knufmann GmbH, eine Firma, die auf die Herstellung und den Handel von roh-veganen Lebensmitteln spezialisiert ist, ist unter anderem Algenexpertin. Gemeinsam mit ihrem Mann Jörg Ullmann kreiert sie kreative, vegane Algenrezepte, die es auch in einem Kochbuch nachzulesen gibt.
Knufmann stellte die Verwertung der Alge als Lebensmittel vor. Sie wies auf ihre Potenziale als gesunde Ressource hin sowie auf die Möglichkeiten, mit ihr sogar Stoffe wie Butter und Ei ersetzen zu können. Auch kulinarisch ein wahnsinnig spannendes Feld, das im Anschluss gekostet, probiert und für sehr gut befunden wurde.
Um das Meeresgemüse gezielter einsetzen zu können, entwickelte die Knufmann GmbH aus Klötze mit Geschäftsführerin Kirstin Knufmann, Oliver Skoluda, Küchenleiter der Messe und Congress Centrum Halle Münsterland GmbH und Jörg Ullmann gemeinsam mit der IHK Magdeburg und der IHK-Bildungsakademie Magdeburg GmbH die weltweit erste Weiterbildung zum „Algen-Sommelier“. Knufmann gab einen Einblick in die Weiterbildung.
Beim weihnachtlich-veganen Low-Carbon-Büfett des Forum Rathenau konnten diese Algenrezepte probiert werden.
Wir bedanken uns für die sehr inspirierenden Vorträge und das hervorragende Büfett.
Vielleicht haben Sie auch zu Hause bald die Wahl zwischen dem Algensteak oder der Weihnachtsgans aus kultivierten Zellen zum Weihnachtsfest. Falls es etwas ganz Besonderes sein soll, möglicherweise auch ein zellkultiviertes Mammutsteak?
Zu Gast auf dem Podium waren:
- Prof. Charli Kruse, Leiter von CellTec Systems, ein junges Spin-Off der Fraunhofer-Gesellschaft und der Universität zu Lübeck, Forschungs- und Entwicklungsarbeiten im Bereich der industriellen Zelltechnik für Verfahren zur Massenvermehrung für die Herstellung von Nahrungsmitteln, Diagnostika, Testsystemen und andere Konsumgüter (digital)
- Kirstin Knufmann, Gründerin der PureRaw, Knufmann GmbH und KC – Knufmann Cosmeceuticals, Rohkost- und Algenexpertin, Buchautorin, Coach, Referentin und Unternehmerin aus Sachsen-Anhalt
- Jörg Ullmann, Managing Director; Scientific Project Manager at Algenfarm Klötze GmbH & Co. KG (Algae Farm Klötze), eine der größten Algenfarmen in Europa
Fotos: Lynne Tiller