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CarbonCycleCultureClub:
Rückblick: Bildung für nachhaltige Entwicklung: Skills für die Zukunft

Zum Thema „Bildung für nachhaltige Entwicklung: Skills für die Zukunft – wie bereiten MINT-Expert:innen, Lehrer:innen und Hochschulen die Kreislaufwirtschaft vor?“ nahmen  Expert:innen und das Publikum am Donnerstag, den 26. September 2024, im CarbonCycleCultureClub (C4) von 18 bis 21 Uhr im Industrie- und Filmmuseum Wolfen das Thema Bildung unter die Lupe.  Fachexpert:innen diskutierten sektorübergreifend, welche Kompetenzen und welches Wissen Schüler:innen durch welche Lehr- und Lernangebote vermittelt bekommen (sollten), um sie auf die großen gesellschaftlichen Herausforderungen der Zukunft, wie beispielsweise das Erreichen von Klimaneutralität und Transformationsprozesse vorzubereiten. Moderiert wurde die Veranstaltung von Claudia Reiser, Redakteurin des ARD-Klimakompetenzcenter.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Neurobiologie (LIN) in Magdeburg sind dem Ursprung der Freude am Entdecken, der Neugier auf der Spur. Sie konnten erstmals einen bisher nur vermuteten neuronalen Schaltkreis zwischen zwei Schlüsselregionen des Gehirns nachweisen. Zwischen diesen beiden Hirnarealen besteht ein dynamisches Gleichgewicht, das darüber entscheidet, ob die Angst vor Neuem oder dessen Anziehungskraft überwiegt. Der neu entdeckte Schaltkreis vermittelt den Antrieb, die Umgebung zu erkunden und damit der Neugier nachzugehen.

Der Entwicklungsbiologe und Hirnforscher Gerald Hüther betont in seinem Buch „# Education for Future“ ebenfalls die Freude am Entdecken als Grundlage des Lernens und beschreibt die „Vervollkommnung, die Entfaltung der in jedem Menschen angelegten Potenziale“ als Schlüssel der Bildung für die Zukunft. Das sei die Grundlage für ein gelingendes Leben, das nicht nur auf Erfolg ausgerichtet ist, sondern möglicherweise dazu führe sich, die anderen Lebewesen und die Umwelt achtsamer wahrzunehmen und nachhaltiger zu handeln.

Nachhaltiges Handeln strebt auch die Weltgemeinschaft an. Bereits im Jahr 1992 haben sich die Vereinten Nationen zum Leitbild der nachhaltigen Entwicklung bekannt. In Rio de Janeiro wurde dazu ein globales Aktionsprogramm verabschiedet. Auch Deutschland hat unterzeichnet und beschloss im Jahr 2002 erstmals eine Nachhaltigkeitsstrategie für eine Zukunft, in der Natur und Klima geschützt werden, weniger Menschen Not leiden und die Gesellschaft zusammenhält. 2015 haben die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen in ihrer Agenda 2030 17 globale Nachhaltigkeitsziele, die Sustainable Development Goals (SDGs), definiert. Deutschland hat zugesagt, diese 17 Nachhaltigkeitsziele im eigenen Land umzusetzen und auch anderen Ländern dabei zu helfen. Die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie ist dafür die Grundlage.

Nachhaltige Entwicklung heißt, mit Visionen, Fantasie und Kreativität die Zukunft gestalten, Neues wagen und unbekannte Wege erkunden, so ein Artikel der Bundesregierung zur Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie. Doch wie können diese Ziele tatsächlich bis zum Jahr 2030 erreicht werden? Welche Ansätze helfen?

Wie kann eine innere Haltung von Offenheit und intrinsischer Motivation der gesellschaftlichen Individuen aufgebaut werden, um den umweltpolitischen und gesellschaftlichen Herausforderungen und stetigen Veränderungen gut vorbereitet zu begegnen? Dies sind nur einige der Fragen, die die Podiumsgäste und das Publikum beim C4 diskutierten.

Im Rahmen der Auseinandersetzung mit der derzeitigen und angestrebten Kompetenz- und Wissensvermittlung ging es ebenso um frühkindliche, schulische wie um berufliche Bildung und außerschulisches Lernen mit den entsprechenden Lernorten.

Ist die Förderung von Unterrichts- und Studienfächern beziehungsweise Berufen aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT) der Schlüssel zur erfolgreichen und positiven Transformation? Welche Rolle spielen die Geistes- und Sozialwissenschaften und die Kunst bei diesem Prozess? Wie kann der Lernprozess generell erfolgreich gestaltet werden? Was sind die Voraussetzungen laut der Hirnforschung für einen erfolgreichen Lernprozess? Wie kann das Verständnis und Bewusstsein für Kreislaufwirtschaft und nachhaltigen Konsum geschärft werden? Dies waren weitere Fragen, mit denen sich die Fachexpert:innen auseinandersetzten.

Nach fünf Jahren UNESCO-Weltaktionsprogramm Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) zog Prof. Dr. Maria Böhmer Bilanz im Interview auf dem BNE-Internetportal. „BNE ist Treiber für die gesamte Agenda 2030 – also für alle Weltprobleme unserer Zeit. BNE ist damit ein wichtiger Teil der Bildungsqualität und absolut notwendig, um andere Bildungsziele wie Chancengerechtigkeit, inklusive Bildung und lebenslanges Lernen zu erreichen. BNE ist in unseren Augen zugleich eine transformative und politische Bildung“, so die Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission.

Das sind sehr komplexe Ziele. Wie nehmen Schulen Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) vor diesem Hintergrund in ihre Unterrichts- und Schulentwicklung auf? Kann unser Bildungssystem, können generell die Bildungssysteme diesen Ansprüchen gerecht werden?

In seinem Artikel „Bildung ist mehr als Schule – Alltagsbildung als Schlüsselfrage der Zukunft“, schreibt Prof. Dr. Thomas Rauschenbach: „Bildung ist mehr als Schule. Durch Bildung werden Menschen befähigt, sich mit der dinglich-stofflichen Welt, mit den kleinen und großen kulturellen Errungenschaften der Menschheitsgeschichte, mit anderen Menschen und mit sich selbst auseinanderzusetzen.“ Auch Gerald Hüther spricht den Mentor:innen, außerschulischen Orten und Initiativen eine enorme Bedeutung zu. Hier sollen „Selbstwirksamkeitserfahrungen“ ermöglicht werden, etwas, das aus eigenen Kräften zum Gelingen führt.

Wo und wie findet die Bildung der Zukunft denn nun statt? Und welches sind die Skills der Zukunft?

Diese Fragen diskutieren folgende Podiumsgäste:

Welche Skills braucht die berufliche Bildung im Mitteldeutschen Revier? Das ist ein Themenfeld, mit dem sich diese Expert:innen befassen:

  • Steffen Rusetzki, Geschäftsführer, BZ Bildungszentrum Wolfen-Bitterfeld e.V.
  • Susanne Posniak, Lehrerin, Berufsbildende Schulen Anhalt-Bitterfeld
  • Eilika von Anhalt, Geschäftsführerin hallo—GUT GmbH

Livestream in voller Länge

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Inhaltlicher Rückblick

Foto: Lynne Tiller

Viele Ideen und Ansätze zum Thema „Bildung für nachhaltige Entwicklung: Skills für die Zukunft – wie bereiten MINT-Expert:innen, Lehrer:innen und Hochschulen die Kreislaufwirtschaft vor?“ diskutierten Expert:innen und das Publikum am Donnerstag, den 26. September 2024, im CarbonCycleCultureClub (C4) von 18 bis 21 Uhr im Industrie- und Filmmuseum Wolfen.  Welche Kompetenzen und welches Wissen Schüler:innen durch welche Lehr- und Lernangebote vermittelt bekommen (sollten), um sie auf die großen gesellschaftlichen Herausforderungen der Zukunft, wie beispielsweise das Erreichen von Klimaneutralität und Transformationsprozesse vorzubereiten war der Fokus der gut besuchten Veranstaltung des Forum Rathenau e.V. Moderiert wurde die Podiumsdiskussion von Claudia Reiser, Redakteurin des ARD-Klimakompetenzcenter.

Lernen in einer sich wandelnden Welt

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Impulsvortrag von Dr. Michael Lippert “Lernen in einer sich wandelnden Welt”

In seinem einführenden Impuls zum Thema „Lernen in einer sich wandelnden Welt“ zeigte Dr. Michael T. Lippert, Arbeitsgruppenleiter, Systemphysiologie des Lernens, Leibniz-Institut für Neurobiologie Magdeburg, in seiner Präsentation zunächst ein Bild seiner Tochter und berichtete, dass sie ihm erzählt hatte, ihre gesamte Klasse habe im neuen Fach Astronomie keine Fragen gestellt und nicht mitgearbeitet. Auf Nachfrage der Lehrkraft kam heraus, dass die Klasse in einem anderen Fach die Erfahrung gemacht hatte, dass die Lehrerin „ausrastet“, wenn jemand eine falsche Antwort gibt.  Die Bestrafung der anderen Lehrerin auf die Beantwortung ihrer Fragen habe dazu geführt, dass die Klasse inaktiv geworden ist. Die soziale Wertschätzung, das Nachfragen, im Fach Astronomie war eine Belohnung, die zu Aktivität und Mitarbeit geführt hat, so Lippert. Nun freuten sich alle auf Astronomie.

Foto: Lynne Tiller

Der Grund dafür, dass sich die gleiche Chemikalie auf so unterschiedliche Sachen wie Belohnung und Bewegung auswirkt, findet sich in der Zeit, als hier die ganze Braunkohle entstanden ist. Die Urzeitwesen mussten, wenn sie eine Belohnung haben wollten, auf sie zu rennen, ihr hinterherrennen, sie mussten die sich holen.

Dr. Michael Lippert

Die Jüngeren würden bei Belohnung an Dopamin und Glück denken, die älteren unter uns denken bei Belohnung nicht nur an Glück, sondern vielleicht auch an Parkinson. Parkinson sei keine Erkrankung des Belohnungssystems, sondern eine Bewegungserkrankung. Wieso wirkt sich die gleiche Chemikalie auf Belohnung und Bewegung aus?, fragte er.

Der Grund dafür finde sich in der Zeit, als hier die ganze Braunkohle entstanden ist beziehungsweise schon davor, denn schon die Urzeitwesen mussten, wenn sie eine Belohnung haben wollten, auf die Belohnung zu rennen. Die Belohnung kam nicht von sich selbst.  Die kleineren, gejagten Säugetiere zogen sich eher verängstigt in Schutzräume wie Höhlen zurück. Diesen evolutionären Zusammenhang teilten wir uns beispielsweise auch mit Fliegen.

Er erläuterte anhand seiner Forschung mit Mäusen, wie freigesetztes Dopamin im Gehirn zu Aktivität führt. Bei den Erläuterungen zum Dopamin-System verwies er auf die Forschung seines Kollegen Dr. Wolfram Schultz. Wenn man die Zellen in diesem System untersuche, zeige sich, dass sie aktiv werden, wenn eine Belohnung oder eine angekündigte Belohnung sichtbar ist. Wenn eine Bestrafung eintrete, oder eine Belohnung ausbleibt, dann könnten die Zellen inaktiv werden. „Dann gibt es ein negatives Signal im selben System“, sagte Lippert. Dieses bipolare Signal sei ein Feedback-Signal durch das wir durch Verstärkungslernen mit der Umgebung interagieren könnten. Wenn dieses System stark belohnungsgetrieben ist, dann ist die Aktivität und Motivation hoch und es gibt eine aktive Beschäftigung des Lebewesens mit der Umwelt. Wenn einem System viel Bestrafung zugrunde liegt, dann sinke die Aktivität in dem System und damit verringere sich, laut Lippert, auch die Motivation. Das ist der Zusammenhang zwischen Bewegung, Motivation und Belohnung, so Lippert.

Bestrafungslernen funktioniere auch, wenn man angepasste Untertanen wolle, die nichts machten, denn wer nichts macht, der mache auch nichts falsch. Unvorhersehbare Bestrafung könne außerdem zu völliger Inaktivität und Depression führen. Wenn wir über den Klimawandel reden, so Lippert, würden üblicherweise Dystopien beschworen, die natürlich eine bestrafende Wirkung auf den hätten, der sich das anhört. Wenn die Leute das den ganzen Tag hören, dann führe das auf lange Sicht zu Inaktivität, so der Referent des Leibniz-Instituts. Klimawandelleugnung könne man durchaus unter dem Aspekt betrachten, dass es sich um eine Vermeidungstätigkeit handelt, eine Inaktivitätstätigkeit, wo man durch emotionsbasiertes Coping, nämlich Bewältigungsstrategien, versuche, die Gefahr zu ertragen und sich nicht mehr damit zu beschäftigen. Wir dürfen deshalb nicht vergessen, nicht nur die Dystopie zu beschwören, sondern vor allem für eine Utopie zu werben und dadurch Motivation, Aktivität und Engagement bei den Menschen, die es betreffe, uns alle, zu erzeugen.

Als negative Rückmeldung sieht Lippert auch Noten an. „Meine persönliche Meinung ist, dass Noten einfach viel zu subjektiv sind. Viel zu zufällig, als dass man damit eine echte Messbarkeit erzeugen kann“, sagte er außerdem. Sie drückten den Wunsch nach Messbarkeit aus, könnten diesem aber aufgrund ihrer Subjektivität nicht gerecht werden. Sein Vorschlag wäre, ein Bestehen / nicht Bestehen-System, statt eines differenzierten Notensystems. 

Foto: Lynne Tiller

Kinder als Autoren ihres Lernprozesses

Podiumsgast Dr. Tobias Ernst, Vorstandsmitglied im Bundesverband innovative Bildungsprogramme e.V. Berlin und Vorstandsvorsitzender der Stiftung Kinder forschen sagte: „Weniger prüfen und mehr testen“, sei eine Möglichkeit, zu sehen wie sich jemand individuell entwickle und die Möglichkeit biete, individuelle Kompetenzfortschritte zu erkennen. Damit könnten auch Belohnungen generiert werden. In Bezug auf forschendes Lernen sagte er: „Unser Anspruch ist, dass wir die Kinder und die Fachkräfte ins Gespräch bringen. Das heißt am Ende des Tages Fragen stellen.“ Die Fragen und die Antworten könnten auch einmal falsch sein, aber wichtig sei es, dass die Kinder merken, sie sind selbst Autoren ihres Lernprozesses. Sie könnten selbst Verantwortung übernehmen, so Ernst, und auf diese Art und Weise Selbstwirksamkeitserfahrungen machen. Diese seien auch wieder Belohnungen.  

Auf die Frage, welche Möglichkeiten sie sehe auch die intrinsische Motivation der Schüler:innen zum Leben zu erwecken, sagte die Lehrerin Gabriele Rudnick vom Europagymnasium Walther-Rathenau in Bitterfeld, dass der vielschichtige Lernprozess durch Praxis und viele Beispiele, durch Erleben, durch selber aktiv werden, gestaltet werden könne. Allerdings könne Schule manche Dinge gar nicht leisten.  Sie meinte, dass es nicht in jedem Fach möglich sei, selbständig gestaltend tätig zu werden, aber gerade der Umweltbereich biete hier viele Möglichkeiten. Die Arbeitsgemeinschaft (AG)-Leiterin und Managerin von Projekten, die sie an der Schule anbietet, erzählte, dass sie mit den Schüler:innen 17.000 Quadratmeter Fläche des Schulgeländes begrüne, die Älteren hätten zudem Insektenhotels gebaut. Es werden Bäume gepflanzt, Hoch- und Blühbeete angelegt. Begeistert berichtete sie von der Aktivität ihrer Schüler:innen und der Möglichkeit, im Gespräch dazu Wissen zu vermitteln, wie beispielsweise zum Kohlenstoff-kreislauf. Dieser sei sonst im Fach Geographie kaum im Lehrplan enthalten.  

Lippert meinte, so begeistert wie Gabriele Rudnick von den Umweltprojekten erzähle, zeige, dass Aktivität auch belohnend ist. Das ist einer der Gründe, die es schwierig macht für die Schulen heute, die Schüler:innen zu erreichen, da häufig nur die Vermittlung von Wissen stattfinde, aber wenig die Vermittlung von Fähigkeiten. Die Vermittlung von Fähigkeiten habe etwas intrinsisch Belohnendes. Lippert: „Wenn ich gelernt habe etwas zu tun, wenn ich ein Hochbeet gebaut habe, dann freut man sich, dann hat man die intrinsische Motivation.“ Diese führe dazu, auch weiterzumachen.

Das ist ja auch einer der Punkte, die für die Transformation so wichtig ist, so die Moderatorin Claudia Reiser, dass wir nicht nur das Wissen haben, sondern auch ins Handeln kommen.

Vom Wissen ins Handeln

„Mehr davon“, lobte auch Ernst die beschriebenen Umwelt-Projekte an der Schule.  Aus seiner Sicht sei das Verhältnis des theoretischen und praktischen Lernens umzukehren:  Wir brauchen solche interaktiven Lernformate, wo die instruktiven Phasen kürzer werden und die selbstgesteuerten, kollaborativen Phasen länger werden. „Das muss der Standard sein, das muss der größte Teil des Schulalltags sein“, sagte Ernst. So könnten auch gleichzeitig Zukunftskompetenzen gefördert werden, weil die jungen Menschen ja zusammenarbeiten, eigene Erfahrungen machen und darüber eben auch wirklich Kompetenzen entwickelten, die gerade unter dem Aspekt Bildung für nachhaltige Entwicklung entscheidend seien.

Bildung ist etwas sehr Individuelles. Wir stehen damit im Vordergrund. Unsere Biografie, unsere Geschichte ist es, um was es geht.

Philipp Grosche

Philipp Grosche, Co-Founder Arlina, Bildungssystemdesigner, Projektreferent im Bereich Vorstandsteam der WBS TRAINING AG, beleuchtete zunächst den Bildungsbegriff noch einmal und hob „die Reflexion unseres Selbstbildes und Weltbildes“ als einen wichtigen Aspekt der Bildung hervor. Damit löste er den Bildungsbegriff vom Qualifizieren für bestimmte, beispielsweise berufliche Anforderungen. Grosche: „Bildung ist etwas sehr Individuelles. Wir stehen damit im Vordergrund. Unsere Biografie, unsere Geschichte ist es, um was es geht.“ Reflexive Momente seien aus seiner Sicht im Rahmen der Bildung wichtig, um ins Handeln zu kommen. Grosche fügte hinzu, dass die Erfahrung der Selbstwirksamkeit grundlegend sei. Die Beziehung zu uns selbst sei wichtig. Dann entstehe die Motivation.  

Foto: Lynne Tiller

Schule als belohnender Ort

MINT-Förderung war auch ein Fokus des Abends. Rudnick meinte: „Wir haben ein Problem mit MINT.“  Sie hätten keinen Informatiklehrer und nur noch zwei Chemielehrer für 900 Schüler. „Warum will es keiner studieren? Wie können wir die Leute begeistern, dass sie also auch wieder gerne Lehrer für Chemie werden oder Lehrer für Physik?“, fragte sie. Lernen und lehren müsse Spaß machen, auch im MINT-Bereich, so Ernst. Das gehe bei den Fortbildungen für Pädagog:innen ebenso wie später mit den Kindern über Ausprobieren, Basteln und Experimentieren.  

Ob das über Frontalunterricht möglich sei, fragte Moderatorin Reiser. Rudnick meinte, dass in manchen Fächern durchaus auch Frontalunterricht wichtig und nötig sei, beispielsweise, um in Mathe quadratische Funktionen zu erklären. Hier würden die Schüler:innen das auch dankend annehmen. 

Auch die großen Herausforderungen angesichts des Personalmangels an Schulen und Kitas wurden angesprochen. Ernst meinte, die Hoffnung bestehe darin, den Arbeitsort Schule und Kita wieder attraktiv werden zu lassen. Viel attraktiver als er heute ist. Für Kinder und Jugendliche ebenso wie für Lehrkräfte und Betreuer:innen. Der Fachkräftemangel könne auch ein Treiber sein, um Schule noch einmal neu und anders zu denken. Damit Schule zu einem angenehmen, ja belohnenden Ort werde. 

Fähigkeiten für Transformation

Diskutiert wurde auch die Frage, ob Wissensvermittlung angesichts der Möglichkeiten digital auf große Wissensbestände zuzugreifen überhaupt noch nötig sei. Grosche meinte, dass durch das digitale Angebot Wissen ein bisschen demokratisiert worden sei und durch KI auch Kompetenz ein Stück weit demokratisiert werde. Angesichts dessen sei es besonders wichtig, Haltung zu vermitteln. Eine Haltung, die dem Leben zugewandt ist. Denn bei der Frage, wie wir uns die Zukunft vorstellen sei es wichtig, sich zu überlegen, ob es eine schöne Zukunft ist, auf die wir alle zusteuern, denn dann würden wir motiviert in eine Entwicklung zu gehen. „Oder ist das so eine destruktive Zukunft, auf die wir hinsteuern, weil wir einfach keine bessere Idee haben?“, sagte Grosche. 

„Für mich wäre das Wichtigste, dass unsere Bildungsprozesse den Kindern helfen, ein dynamisches Fähigkeitsselbstbild zu entwickeln“, meinte Ernst. Selbstwirksamkeit, also dass die Kinder lernen, dass und wie sie über sich reflektieren können, über ihre Fähigkeiten und, dass sie auch wissen: Ich kann meine Fähigkeiten in Zukunft anpassen. Es würden neue Herausforderungen kommen, so Ernst und da sei es wichtig, die Lernenden in die Lage zu versetzen, auf die neuen Herausforderungen zu reagieren, also zu agieren, sich auch anzupassen und damit auch sich zu gestalten und wieder die Umwelt zu gestalten. Denn das erhöhe die Resilienz und auch die Fähigkeiten, mit den Herausforderungen, den persönlichen, wie auch der großen Transformation, besser und nicht zuletzt auch erfolgreich gestaltend umzugehen. 

Konkrete Ansätze in der Region

Eilika von Anhalt, Geschäftsführerin der hallo—GUT GmbH sagt über sich selbst, Bildung sei ihr Herzensthema und sie habe es sich zur Aufgabe gemacht, das Bildungssystem ein Stück weit zu revolutionieren. Das tue sie unter anderem, indem sie alte Kulturstätten zu Lernorten der Zukunft widme. Das passiere auch ganz viel hier in der Region, so Claudia Reiser. Von Anhalt erläuterte, weshalb sie sich in Transformationsregionen engagiert: Ich glaube, ich bin einer der wenigen Menschen, der sich gerne Probleme sucht, um sie zu lösen.

Wir stellen fest, dass in allen Berufen, die wir bedienen, das Thema Umweltschutz, das Thema Nachhaltigkeit, das Thema Kreislaufwirtschaft einen immer höheren Stellenwert erreicht.

Steffen Rusetzki

Steffen Rusetzki, Geschäftsführer des Bildungszentrum (BZ) Wolfen-Bitterfeld e.V., der ehemals für den Braunkohletagebau ausgebildet worden war und dann in einem Braunkohlekraftwerk gearbeitet hat, bedauerte, dass der C4 dieses Mal nicht im Kraftwerk Zschornewitz stattfinden konnte. Das war zehn Jahre lang täglich meine Anlaufstelle für Wartung und Instandhaltung des Braunkohlekraftwerks. „Was braucht die Region? Wir bilden im Bildungszentrum Wolfen Bitterfeld für die Region aus.“ Rusetzki: „Wir stellen fest, dass in allen Berufen, die wir bedienen, das Thema Umweltschutz, das Thema Nachhaltigkeit, das Thema Kreislaufwirtschaft einen immer höheren Stellenwert erreicht.“ Es werde in den kommenden Jahren weniger neue Ausbildungsberufe geben, sondern die bestehenden Ausbildungsberufe würden eher entsprechend ergänzt. Wir würden uns wünschen, da wir seit mehr als einem Jahrzehnt auch stark in der Berufsorientierung der Schülerinnen und Schüler tätig sind, dass wir auch die Leute mit in der Berufsorientierung begeistern könnten, die bis jetzt noch nicht bei uns sind. Das sind zum Beispiel die Gymnasiast:innen, die sich später einem Studium widmen und akademische Berufe ergreifen. „Wir merken das immer mehr in unseren Berufsorientierungsprojekten, dass es wichtig ist, auch mit den Sinnen zu erfassen, nicht nur zu lesen, zu hören, sondern anzufassen“, sagte Rusetzki. Ganz besonders seien die Sinne Riechen und Hören in der Technik wichtig. Wer zum Beispiel einen bestimmten Geruch nicht ertragen kann, der kann auch kein Studium ergreifen, um später in der Metallwirtschaft tätig zu werden oder in der kunststoffverarbeitenden Industrie. Denn dort gebe es bestimmte Gerüche, mit denen man klarkommen müsse.

Foto: Lynne Tiller

Kulturelle Veränderungen bauen Brücken zwischen Theorie und Praxis

Susanne Posniak, Lehrerin an den Berufsbildenden Schulen Anhalt-Bitterfeld, berichtete, dass das Fach Kreislaufwirtschaft in fast allen Berufen mit zum Lehrplan gehört. Das heißt vor allen Dingen in den technischen Berufen ist es immer wieder ein Thema. Dabei gehe es primär um Wertstoffrecycling. Die Schüler:innen beschäftigten sich vor allen Dingen dann damit, wenn man versuche, auch auf den Alltag entsprechend Bezug zu nehmen. Rusetzki hob bei der Frage, ob das Übertragen in den eigenen Alltag grundlegend sei, hervor, dass das praktische Anwenden eine Möglichkeit sei, Belohnungen zu erleben, wie sie eingangs im Impuls erläutert wurden. Ein Versuch, den man theoretisch vielleicht gar nicht so leiden konnte, in der Schule, könne am praktischen Beispiel Freude machen. Möglicherweise könne dann sogar auch noch jemand anderem, dem der Versuch schwerfalle, unterstützt werden. Erst dann präge sich das Erlebte ein und werde vor lauter Freude möglicherweise am Abendbrottisch erzählt. 

Eilika von Anhalt ergänzte, dass Projektarbeit an Schulen so wichtig sei. Eine kulturelle Veränderung beinhalte im Endeffekt, wie wir leben, was wir leben, warum wir es tun. Die Bildung brauche diese Vielschichtigkeit. Es brauche interdisziplinäres Denken beziehungsweise die Arroganz zwischen Theorie und Praxis müsse verschwinden, so von Anhalt.  

Es braucht das interdisziplinäre Denken. Diese Arroganz zwischen Theorie und Praxis muss verschwinden. Warum lehren diese Top-Professoren nur in der Theorie? Warum gehen die nicht in die Berufsschule?

Eilika von Anhalt

Posniak meinte, dass Lernen an Projekten ganzheitlich gesehen immer eine bessere Sache sei, als den Schüler:innen im Frontalunterricht oder mit anderen Methoden etwas zu vermitteln. Aber dazu seien die institutionellen Rahmenbedingungen, um das auch wirklich in der Breite umsetzen zu können, nicht vorhanden. In den Lehrplänen gehe es immer nur um das Ergebnis. Es gehe nicht um die Methode. „Wir bewerten immer nur ein Ergebnis. Wenn man Klassen mit 29 Schüler:innen hat und 90 Minuten pro Woche Unterricht, bei denen schaffe man es nicht, bei jedem einzelnen Schüler zu ergründen was das Problem ist, wenn es an der Motivation fehle. Posniak: „Und ich glaube, da brauchen wir auch wieder andere Strukturen in den Schulen (…). Wir brauchen auch nicht ein neues Schulgesetz, um noch größere Klassen zu erzeugen. Wir brauchen kleinere Klassen, wir brauchen mehr offene Lernräume, um genau diese Sachen Projektarbeit, Nachhaltigkeit auch in der Schule leben zu können.“ 

Rusetzki berichtete von einem neuen Projekt, innerhalb des Berufsschulzentrums, das der Schülerrat initiiert hatte als Modellversuch. Tag der Schüler hieß es. Die Schüler:innen konnten an dem Tag sehen was die anderen machen.  Ein Rohrleitungsbauer beispielsweise konnte sehen, was die Kosmetiker:in oder die Friseur:innen machen. Um genau auch die Wertschätzung, die eben ganz oft auch fehle, zu erreichen. „Und das wollen wir auf alle Fälle verstärken in der Zukunft“, so Rusetzki.  

Foto: Lynne Tiller

MINT-Nachwuchs für Schule und Arbeitsmarkt

Zu Gast im Publikum war auch Stephan Junker, Werksleiter der AMG Lithium in Bitterfeld-Wolfen. „Europas erste Lithiumraffinerie hat nämlich hier in der Region eröffnet. Und Lithium ist zweifelsohne ein Stoff der Zukunft“, begrüßte Moderatorin Reiser Stephan Junker. Auf die Frage, welche Skills für die Arbeitskräfte in seinem Werk wichtig sind, meinte er: „Wichtig ist für uns in der Ausbildung, dass wir mit den jungen Leuten, dort nicht nur, ich sage mal das theoretische Wissen, sondern auch so ein Stück weit die Liebe zum Beruf entwickeln.  Die Hingabe zu dem einzigen eigenen Produkt, was dort herkommt. Und das fällt uns natürlich gerade bei Lithiumhydroxid relativ leicht.“ 

Auf die Frage, die aus dem Publikum kam, wie MINT am Standort Bitterfeld-Wolfen gefördert werden kann, meinte Ilka Bickmann, Leiterin der Denkwerkstatt des Forum Rathenau, dass hier am Standort schon eine sehr gute Förderung stattfinde, was ja auch die Bildungsmesse zeige, an der 1.200 Jugendliche teilnahmen.   

Susanne Posniak berichtete, dass sie als Klassenlehrerin an der Oberschule Technik unterrichtet und die Schüler:innen sehr MINT-affin seien. Allerdings hätten sie in den MINT-Fachrichtungen zu wenig Lehrer:innen, zum Beispiel für das Fach Chemie. Posniak sagte, dass nicht mehr ausreichend Chemielehrer:innen an der Schule seien, um in allen Klassen den Fachunterricht abzudecken, so dass beispielsweise in der Fachoberschule kein Chemie mehr unterrichtet werden kann. In den Klassen der Berufe, der Labor- und Prozesstechnik unterrichteten die wenigen verbliebenen Chemielehrer:innen, da dort der Fachunterricht Priorität habe.  

Sie hätten Physik und Biologie und es gebe eine Kooperation mit der Hochschule in Köthen, so dass ein regelmäßiger Austausch stattfinde und zumindest auf der Ebene der Nachwuchs gesichert sei. Aber es fehle genau in diesen Bereichen der Lehrer:innennachwuchs, sodass manche Inhalte im MINT-Bereich an der Schule nicht mehr vermittelt werden könnten. Posniak: „Und ich glaube, die Begeisterung für MINT, um dann auch in einem Beruf in dem Bereich einzusteigen, die wird schon in der Schule gelegt und wenn dort nicht die ausreichenden Fachkräfte als Lehrpersonal da sind, wird es schwierig.“ Denn dort müssten ja auch die künftigen Fachkräfte und Lehrkräfte in diesem Bereich schon gewonnen werden. Sie berichtete von einem Projekt der Dr. Hans Riegel-Stiftung, dass sie als außerschulisches Angebot sehr gerne angenommen hätte und sagte, sie würde sich wirklich wünschen, dass so etwas noch mehr angeboten wird. Und auch das außerschulische Angebot von Dr. Nadine Slomma, Leiterin der ExperimentierWerkstatt ABI Lab des Forum Rathenau e.V., habe sie sehr gerne angenommen, da ihre Schüler:innen ja kein Chemie hätten wegen des Lehrermangels. Sie habe mit ihren Schüler:innen eine Projekt-AG Chemie im Schülerlabor des  ABI Lab gemacht, um beispielsweise einfach einmal auszuprobieren wie eigentlich Aspirin hergestellt werde. Posniak: „Das sind tolle Sachen.“ Sie wünsche sich, dass das zukünftig auch noch häufiger eine Rolle spiele, egal für welche Schulform.  

Zukünftige Workshops: Future Skill Parcours

Das nahm Moderatorin Reiser zum Anlass zum nächsten Programmpunkt überzuleiten, nämlich der Vorstellung des „Future Skill Parcours“, von Dr. Nadine Slomma. Denn auch im Forum Rathenau werde unentwegt an der Bildung von morgen gefeilt. Slomma berichtete: „Wir, als außerschulischer Lernort, haben natürlich sehr viele Schüler:innen bei uns im Labor, um sie mit praktischen Experimenten an Chemie heranzuführen. Aber nicht nur das. Wir überlegen uns auch andere Formate.“ Der Future Skill Parcours sei eines dieser Formate.  

Wir haben das Thema Future Skills aufgegriffen und uns dazu etwas überlegt. Unter dem Motto: Entdecke dein Potenzial und mache den Future-Check werden wir nächstes Jahr hier in Bitterfeld im Juni einen Future Skill Parcours anbieten:  ein interaktives Workshopformat, bei dem Unternehmen und Akteure auf interessierte Jugendliche aus der Region treffen. Mit dabei seien Vertreter:innen der Hochschulen, aber auch Trainer:innen für Persönlichkeitsentwicklung, die bedarfsorientiert aus der Praxis heraus diesen Workshop für Gymnasien, Sekundarschulen und Gesamtschulen gleichermaßen anbieten würden. Natürlich auch mit dem Fokus Innovation und Nachhaltigkeit. Das werde mit einer Potenzialanalyse begleitet, sodass jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer sich selbst anhand der Potenzialanalyse einordnen könnten. Es werde in dem Workshop ebenso um fachliche, wie um persönliche Skills gehen. Zugrunde liege eine KI gestützte Trendanalyse auf internationaler Ebene zu den künftigen Skills der chemisch pharmazeutischen Industrie. Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft seien dabei führend als Future Skill, was dem Bedeutungszuwachs in der Branche hinsichtlich Defossilisierung und Zirkularität geschuldet sei, so Slomma.

Foto: Lynne Tiller