Professor Roswag-Klinge im Interview

Spaß daran haben im Bestand anders zu leben als im Neubau

Professor Eike Roswag-Klinge, Managing Director Institut für Architektur, NATURAL BUILDING LAB – Fachgebiet Konstruktives Entwerfen und Klimagerechte Architektur, Technische Universität Berlin (TUB), im Gespräch mit Forum-Rathenau-Redakteurin Simone Everts-Lang im Vorfeld des CarbonCycleCultureClubs (C4), einem Diskussions- und Denkformat des Forum Rathenau e.V. am Sonntag, den 3. November 2024 zum Thema „Neues Europäisches Bauhaus (NEB) – Wie gelingt die Bauwende 2030/2045 in Mitteldeutschland?.

Frage: Wie gelingt die Bauwende 2030/2045?

Roswag-Klinge: Das Wichtigste ist, dass wir die Bauwende als einen Prozess begreifen, hin zu einem Modell, wie das Bauen und Leben in planetaren Grenzen möglich ist und die großen Sorgen des Bausektors Stück für Stück löst. Aber es wird ein langer Prozess und es ist nicht ein Lösungsansatz, den wir in Gesetze gießen können.

Frage: Was wäre aus Ihrer Sicht der erste Schritt bei dem langen Prozess?

Roswag-Klinge: Die Bauwende hat aus meiner Sicht vier Aspekte. Wir müssen generell in allen Sektoren reduzieren. Der Reduce Pfad ist der allerwichtigste, auch wenn die Politik da noch nicht mitgeht und von grünem Wachstum spricht. Wir müssen eine neue Ökonomie entwickeln, im Rahmen derer die Menschen eine sinnreiche Arbeit und Einkommen haben, aber diese Ökonomie wird nicht mehr als solche wachsen. Wir müssen zum Beispiel im Bereich Wohnen laut Umweltbundesamt von aktuell etwa 50 m² Wohnfläche pro Person in Deutschland auf knapp 40 m² runter. Dann müssen wir berücksichtigen, dass wir keine wachsende Bevölkerung haben werden. Im längeren Trend erwarten aktuelle Prognosen, dass die Bevölkerung in Deutschland und Europa tendenziell eher schrumpft. Auch das Konzept Einfamilienhäuser muss überdacht werden. Hier muss eine Transformation stattfinden hin zu Gemeinschaftsmodellen im Wohnbereich. Da gibt es auch schon sehr viele schöne Beispiele, wo sich Menschen in Gemeinschaft auch besser fühlen. Aus der Reduktion der Flächen ergibt sich, dass wir den Neubau nur noch ganz, ganz begründet machen. Einen ganz wesentlichen Anteil und eine Vorbildfunktion hat dabei der Bereich des öffentlichen Bauens. Hier müssen diese Paradigmen aufgestellt werden.

Der zweite Hebel ist, dass wir nicht mehr abreißen dürfen und auch nicht mehr so stark spekulieren dürfen mit Grundstücken, denn Abriss passiert selten, weil die Gebäude nicht mehr funktionieren, sondern der Abriss passiert aus spekulativen Gründen, oder weil man Angst hat, dass das Bauen im Bestand zu komplex ist. Die Neubaustellen kosten extrem viel mehr Geld und dauern länger. Das Land Berlin will noch 20 Schulen abreißen, obwohl es immens viele Schulen braucht. Und es hat schon 20 Schulen abgerissen. Das ist ökologisch absolut nicht vertretbar. Es ist sehr wichtig, dass wir nur begründet neu bauen. Den Bedarf für ein neues Krankenhaus können wir voraussichtlich nicht in einem ehemaligen Shopping-Center decken, die Stadt Hamburg aber nutzt zum Beispiel eine Mall in eine Schule um. Da müssen wir auch andere Wege denken und dann einfach mehr Spaß daran finden, im Bestand anders zu leben als im Neubau.

Das dritte ist, dass wir die Ressourcen-Frage klären müssen, womit die Kreislaufbauwirtschaft ins Spiel kommt. Wir dürfen der Natur nicht einfach mehr neue Rohstoffe entnehmen, sondern müssen die Entnahme dieser massiv herunterfahren und das nutzen, was schon da ist. Was so nicht gedeckt werden kann, müssen wir mit nachwachsenden Rohstoffen ergänzen. Auch in der Kreislauf-Bauwirtschaft ist die Reduktion das oberste Paradigma.

Dann das letzte, für uns Naturbauer immer ganz wichtiges Thema, ist das Bauen von Lowtech-Gebäuden, also die Reduktion von Gebäudetechnik wie beispielsweise Lüftungsanlagen.  Wenn wir mit guten Naturbaumaterialien wie Holz und Lehm klimaangepasst bauen, brauchen wir keine Gebäudetechnik. Dann können wir auf sehr  teure Gebäudetechnik verzichten. Die Baukostensteigerungen der vergangenen Jahrzehnte im Gebäudebereich sind nur durch die Gebäudetechnik verursacht, diese sind um 60 Prozent gestiegen. Die Kosten in dem Bereich Gebäudehülle, also das Haus selbst, sind auch bei heute energetisch besseren Häuser, entsprechend der allgemeinen Kostenindices mitgewachsen, sie sind also nicht teurer geworden als der normale Preisindex. Der Glaube an Technik, um Energieeffizienz zu steigern hat uns in die Technisierung der Gebäude getrieben. Leider erreichen technisierte Gebäude aus mehreren Gründen die geplante Effizienz nicht und machen die Menschen an vielen Stellen auch noch krank. Von daher müssen wir aus der Technisierung von Gebäuden aussteigen und auf Lowtech-Gebäude setzen. Das ist dann der vierte Baustein.

Frage: Brauchen wir ein Abriss-Verbot?  

Roswag-Klinge: Das Abrissmoratorium haben wir als erste mit unterschrieben.Ganz klar dürfen wir bestehende Ressourcen nicht zerstören. Alle reden gerade von Recycling, also granulierten Rohstoffen, und sehen darin das große Heil, aber nein, es darf kein Gebäude mehr abgerissen werden, es darf nicht granuliert werden. Gebäude müssen erhalten werden. Wir dürfen das Fenster nicht ausbauen und es jemandem, der vielleicht geringere Anforderungen hat, schenken, sondern wir müssen das Fenster drin lassen und reparieren, im Zweifelsfall eine zweite Ebene hinzufügen, aber nicht ausbauen. Dann verringert sich auch der Bedarf an frischen Ressourcen massiv, es wird aber auch weniger Sekundärrohstoffe geben. Das Moratorium ist kein Verbot, sondern das Hinterfragen von Bedarfen auf allen Ebenen, das ist die zentrale Aufgabe. Wir haben also alles: jedes Haus ist ein gutes Haus. Jedes Haus, das mehrere Geschosse hat, muss stehen bleiben. Wir dürfen vielleicht eingeschossige Bauten, so wie Tankstellen, Supermärkte mal rückbauen, aber keinen Geschossbau, seien es Büro-, Gewerbe- oder Wohnbauten. Im Gewerbe- und Industriebereich sprechen wir oft von Sonderbauten, da kann es gegebenenfalls schwieriger werden, Nach- und Umnutzungen zu finden. Aber das, was aktuell passiert, auch in Berlin innerstädtisch Hochhäuser abzureißen, um dann wieder Hochhäuser hinzustellen, das darf auf keinen Fall passieren.

Frage: Was erforschen Sie in dem Natural Building Lab an der TUB derzeit?

Roswag-Klinge: Da ist der Name Natural Building Lab Programm. Wir beschäftigen uns mit Naturbaustoffen. Unser Ausgangspunkt sind im Jahr 2017 die Materialien Holz, Lehm und Bambus „The Big Three“ gewesen, wie wir sie genannt haben. Zu Bambus haben wir seit dem weniger gearbeitet, zu Holz und Lehm forschen und lehren wir sehr viel. Der Fokus war lange auf dem Lowtech-Bauen und klimaangepassten gesunden Gebäuden. Der Fokus ist seit geraumer Zeit das kreislaufgerechte Bauen. Insbesondere beschäftigen wir uns mit tragenden Bauteilen in der Wiederverwendung und Wiederverwertung. In der Öffentlichkeit wird aktuell die Wiederverwendung von Bauelementen wie Fenstern, Türen und Waschbecken diskutiert. Das ist alles relativ einfach, betrifft aber nur einen kleineren Teil des Abfallaufkommens. Wenn wir über den Rohbau sprechen, sprechen wir hingegen von den 70 / 80 Prozent. Wir müssen diese maximal erhalten. Wenn wir sie rückbauen, dürfen wir nicht mehr granulieren und zerstören, sondern müssen sortenrein Bauteile rückbauen und diese möglichst wiederverwenden und auf einem hohen Niveau der Kreislaufkaskade führen. Diese Themen, wie die Wiederverwendung von Altholz, stehen noch ganz am Anfang und es gibt noch großen Forschungsbedarf.  Wir forschen viel zur Wiederverwendung von Altholz, das heute in der Regel in die Müllverbrennung geht. Wir dehnen das jetzt auch aus auf Beton- und Stahlbauteile. Das ist alles in Deutschland noch nicht so weit, in der Schweiz ist man da etwas weiter, aber in Deutschland ist man da noch ganz am Anfang. Wir wollen, wenn wir ein Wohnhaus irgendwo rückbauen müssten, den Beton als Bauteil wiederverwenden und nicht granulieren, das ist das Wichtigste.

Frage: Was sind da die Herausforderungen, wenn man Beton als Bauteil wiederverwenden möchte?

Roswag-Klinge: Das Thema löst sich jetzt gerade. Aber generell ist ja aus gutem Grund alles, was abgebrochen wird, oder früher abgerissen wurde, erst einmal Abfall und muss dann damit in einen geordneten Umgang damit geführt werden. Wenn man durch Gebäuderückbau Abfall erzeugt, kommt automatisch das Abfallrecht zum Tragen und man kommt da erstmal nicht raus. Das aktuelle Abfallrecht fokussiert auf Entsorgung und kennt keine Wiederverwendung. Dann gibt es so viele rechtliche Einschränkungen und die schwierige Rezertifizierung der Bauteile und Materialien, also fehlendes Wissen zur Qualität der wiederzuverwendenden Elemente… Da tuen sich riesige Wissenslücken auf und es gibt ganz, ganz viele methodische Fragen, die wir jetzt angehen müssen, um alte Stahlträger nicht einzuschmelzen, sondern wiederzuverwenden etc. Dann entstehen neue Planungsmethoden, wenn man an gefundenen Bauteilen arbeiten möchte. Es kommt zu grundlegend anderen Planungsprozessen und grundsätzlich neuen Denkmodellen, wenn man kreislaufgerecht bauen will.

Frage: Also die Baustoffe sind eigentlich okay. Es geht mehr um die Zertifizierung im Endeffekt?

Roswag-Klinge: Ich glaube, das ist das Wichtigste. Wir haben Normen, die dem widersprechen. Das sind aber Neubaunormungen. Das sind Normungen im Wesentlichen für eine lineare Wirtschaft, für eine konsumorientierte, absatzorientierte, wachstumsorientierte Wirtschaft. Und da muss man jetzt neue Modelle entwickeln. Wir erforschen das Ganze in Reallaboren und wollen das alles in der Praxis umsetzen, um nicht zu viel Zeit für die Forschung im Labor zu verlieren. So ein Produkt braucht von der Konzeption, von einer konzeptionellen Idee, bis es zur Marktreife kommt in der Regel zehn Jahre. Auf diesem Weg käme ich mit ein paar Forschungsfragen gut in die Rente. Aber das kann ja nicht der Maßstab sein, sondern wir versuchen, Forschungsfragen direkt in Reallaboren in der Praxis umzusetzen und über Forschung zu begleiten. Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Trend. Wir müssen beschleunigen. Deswegen forschen wir sehr stark zu der Fragestellung Reallabore im Bauwesen. Diese haben eine spezielle Methodik, und es gibt noch nicht so richtig den Willen der Politik, dies auf den Weg zu bringen. Deswegen trommeln wir da und bereiten uns auch methodisch vor.
Naturbaustoffe, Kreislaufwirtschaft, Lowtech und Reallabore, das sind vielleicht die vier wichtigsten Schlagworte für das NBL (Natural Building Lab).

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