Martina Schön im Gespräch

Wie ein riesiger schlafender Koloss liegt der Turbosatz des alten Dampfkraftwerks Zschornewitz als „Maschine 9“ in der ehemaligen Maschinenhaus. Ein schwerer Riese, dessen Kraft schon durch die Größe deutlich wird. Die gigantischen Ausmaße des gesamten Kraftwerks zeigen sich an der einzelnen Maschine.

Eine Dimension, die über die Vorstellungskraft hinaus geht. Fünfmal so groß wie man selbst erinnern die erhaltenen Turbinen an Dinosaurier. Sie sind riesig und beeindruckend. Ihre Zeit ist vorbei. Sie sind nur noch Ausstellungsstücke und eine neue Zeit ist angebrochen:

„Wir laufen schon lange, aber wir haben das Ziel vor Augen.“

Zu Beginn des zweiten Carbon Cycle Culture Clubs (C4) des Forum Rathenau e.V. am 16. Dezember 2021 in der Schaltwarte des ehemaligen Kraftwerks berichtet die Ortsbürgermeisterin von Zschornewitz, Kraftwerksseniorin und Vorstandsmitglied des Forum Rathenau Martina Schön: Es gab ein „gutes und wichtiges“ Gespräch mit LEAG-Vorstandsmitglied Andreas Huck über die künftige Nutzung des ehemaligen Kraftwerksgeländes und der dort erhaltenen Gebäude.

Seit der Stilllegung des Kraftwerks im Jahr 1992 haben die Kraftwerkssenioren die Hoffnung, „dass hier keine Ruhe einkehrt“, so Schön. „Der Wunsch von damals wird verwirklicht werden. Wir laufen schon lange, aber wir haben das Ziel vor Augen.“

Wolfgang Kaeß, ehemaliger Schaltmeister des Kraftwerks Zschornewitz, heute 77 Jahre alt, hat die Maschine 9 am 1. Juli 1992 abgeschaltet und damit die Stilllegung des einst größten Braunkohlekraftwerks weltweit symbolisiert.

Auch heute noch, fast 30 Jahre später, weckt es Emotionen in ihm, wenn er in der alten, noch sehr gut erhaltenen Schaltwarte steht und auf die Schaltknöpfe und Hebel blickt. Die grüne Wand mit den unzähligen Anzeigen, Armaturen, Schaltern und Reglern erzählt ihre eigene Geschichte. Die Verbindung zu den riesigen Maschinen ist spürbar; jedoch abgebrochen – Vergangenheit.

Ein Schein hat damals als Baugenehmigung ausgereicht

Ortsbürgermeisterin Schön führt ins Erdgeschoss. Hier ist das Model des Dampfkraftwerks Zschornewitz im Maßstab 1:100 aus dem Jahr 1960 zu sehen. Die Kraftwerkssenioren haben die alte Anlage mit Liebe zum Detail für die 800-Jahrfeier des Ortes Zschornewitz am 13. Mai 2000 nachgebaut.

Es sind Kesselhäuser mit 15 Schornsteinen, die im Original jeweils 100 Meter hoch waren zu sehen, Kühltürme mit einer Originalhöhe von jeweils 35 Metern, Schalthäuser und Strommasten auf einer ursprünglichen Gesamtfläche von mehr als 30 Fußballfeldern.

Das teilweise erhaltene Maschinenhaus mit Schaltwarte, dem ursprünglichen Herz der Anlage, und das Bürogebäude machen den kleinsten Teil des ehemals gigantischen Kraftwerks aus, das peu à peu errichtet wurde. Martina Schön berichtet, dass die Anlage innerhalb von neun Monaten erbaut wurde. Der Genehmigungsschein für die Bauerlaubnis hängt als Ausstellungsstück an der Wand. Ein Schein hat damals ausgereicht; es musste schnell gehen, um die Stromversorgung des benachbarten Kalkstickstoffwerks in Piesteritz zu sichern.

Der Alltag in alten Kraftwerkszeiten

In den Regalen an der Wand des Ausstellungsraumes stehen die Verpackungen von Kaffee, Seife und eine Milchflasche aus aktiven Kraftwerkszeiten. So wird auch der Alltag der Arbeitenden im Kraftwerk dokumentiert. Die Kraftwerkssenioren möchten hier die Geschichte greifbar machen: auch ein Schraubenschlüssel ist ausgestellt.

Wie das gesamte Kraftwerk hat er ebenso Übergröße. Am Rand ist das Strahltriebwerk eines sowjetischen Turbojets WK 1F (MIG 17) ausgestellt. WK sind die Initialen des Konstrukteurs Wladimir Klimow. Das F deutet auf eine Version mit Nachbrenner hin. Das Triebwerk wurde benötigt, um die im Winter gefrorene Kohle aus den Waggons zu lösen, erläutert Schön. Die Kohle bestand zur Hälfte aus Wasser.

„Ich habe hier Bleiberecht!“

Sie deutet auf ein Schild an der Wand: „Sämtliche Arbeiter und Arbeiterinnen sind verpflichtet, die Unfallverhütungsvorschriften zu lesen oder sich vorlesen zu lassen.“ Die Kraftwerksseniorin schmunzelt. Schon zu ihrer aktiven Zeit fand sie diese Aufforderung in Schriftform nicht ganz sinnig. Dann entdeckt sie an der gegenüberliegenden Wand noch eine Tafel mit Schildchen der Projektgruppen und deren Tätigkeiten.

Auf einem steht noch ihr eigener Name. „Ich bin entsetzt“, ruft sie und lacht. „Ich habe hier Bleiberecht!“ Denn auch die Kraftwerkssenioren haben derzeit keinen Zutritt zu „ihrer“ Ausstellung und den erhaltenen Kraftwerksräumlichkeiten, außer während der Veranstaltungen des Forum Rathenau e.V. Nur der Herr des Sicherheitsdiensts ist immer anwesend. Er sitzt im ehemaligen Büro des Chefs.

„Die Visionen werden immer greifbarer.“

Derzeit ist das Industriedenkmal nicht öffentlich zugänglich. Cordula Hawlitzky, Zuständige für den Standort Zschornewitz des Eigentümers LEAG, Lausitz Energie Bergbau AG und Lausitz Energie Kraftwerke AG, und ehemalige Kraftwerkskollegin von Martina Schön, betrachtet das Treiben während des zweiten C4 beeindruckt und sagt: „Die Visionen werden immer greifbarer.“

Autorin: Simone Everts-Lang