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CarbonCycleCultureClub
Rückblick
Closing the Loop – Carbon Credits / Carbon Pricing

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Im CarbonCycleCultureClub (C4) des Forum Rathenau e.V. wurden im November 2024 Ausblicke auf CO₂ als Handelsware gegeben.

Schon heute ist der Handel mit CO₂-Zertifikaten marktmächtig. Die FAZ schrieb beispielsweise am 8. November 2024: „Im Jahr 2022 flossen 1,9 Milliarden Dollar in diesen CO₂-Markt. Mit diesem Geld wurden 254 Millionen Tonnen CO₂- ausgeglichen.“ Wie wird sich der CO₂-Zertifikate-Markt entwickeln, wofür lassen sich die Erlöse einsetzen?

Am Donnerstag, 28. November 2024 lautete das Thema des C4: „Closing the Loop / Carbon Credits / Carbon Pricing“. Im Großen Saal des Städtischen Kulturhaus Bitterfeld-Wolfen wurde unter anderem das mögliche Zusammenführen des europäischen und des globalen Kohlenstoff-Markts diskutiert. Moderiert wurde die Veranstaltung von Professor Ralf Wehrspohn, Vorstandsvorsitzender des Forum Rathenau.

CO₂ ist unbeliebt. Die Industrie beispielsweise muss es loswerden, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Eine Möglichkeit dafür sind die CO₂-Märkte. Dabei wird CO₂ zur Ware und für andere wiederum attraktiv. Es bringt Geld. Zum Beispiel für Wiederaufforstungsprojekte oder Technologien, die CO₂ langfristig speichern.

Auf der UN-Klimakonferenz in Baku spielten die CO₂-Märkte eine wichtige Rolle. Zum Auftakt warb Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) für eine Ausweitung der CO₂-Bepreisung in der EU und weltweit. Der Vizekanzler begründete dies mit den sehr guten Erfahrungen, die man mit dem EU-Emissionshandel für die Sektoren Energie und Industrie gemacht habe.

Professor Wehrspohn und der Impulsreferent der C4-Veranstaltung Professor Andreas Löschel, einer der bekanntesten Umweltökonomen Deutschlands und acatech Mitglied, waren auch auf der COP29 in Aserbaidschan vertreten. Der Inhaber des Lehrstuhls Umwelt-/Ressourcenökonomik und Nachhaltigkeit an der Ruhr-Universität Bochum berichtete aktuell von den Ergebnissen der COP29 in Baku ordnete diese ein und erläuterte, was sie für die CO₂-Märkte bedeuten; den europäischen Handelsmarkt (EU-Emissionshandelssystem (EU-EHS)) sowie den freiwilligen globalen CO₂-Markt, der sich dynamisch entwickelt und derzeit höhere Preise als der CO₂-Markt der Europäischen Union erzielt.

Zu Gast auf dem Podium waren:

  • Prof. Dr. Andreas Löschelacatech Mitglied, Inhaber des Lehrstuhls Umwelt-/Ressourcenökonomik und Nachhaltigkeit, Ruhr-Universität Bochum (hybrid)
  • Dr. Maria Gaudig, stellvertretende Leiterin der Wasserstoff-Gruppe ITEL – deutsches Lithiuminstitut, Postdoc Institut für Physik, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
  • Dr. Sebastian Kunz, Senior Manager Catalysis and Carbohydrate Chemistry, Südzucker AG, Central Department Research, Development, Services CRDS (hybrid)
  • Professor Georg Locher, SCHWENK Building Materials Group

CO₂-Zertifikate, die es heutzutage im europäischen Handelsmarkt (EU-Emissionshandelssystem (EU-EHS)) gibt, werden an einer Börse gehandelt. Sie gelten für unterschiedliche Sektoren wie Mobilität, den europäischen Flugverkehr und die Industrie. Jedes Jahr wird eine feste Anzahl von Zertifikaten durch die Europäische Union ausgegeben. Die Unternehmen können sie erstehen, um CO₂ zu emittieren.

Das Prinzip dahinter: es gibt jedes Jahr weniger Zertifikate. Knappheit beeinflusst den Preis für CO₂-Emissionen. Industrie und Kunden können entweder einen höheren Preis zahlen oder aber die CO₂-Emissionen reduzieren.

„Dieses Zertifikate-System ist im Bereich der Umweltökonomie das beste Instrument“, so Professor Ralf Wehrspohn. „Es ist besser als ein fester CO₂-Preis und besser als eine Steuer.“ Denn über die Zielfunktion (im Jahr 2045 möchte die Europäische Union die Zertifikate auf 0 haben) wird das Ziel auf jeden Fall erreicht. Und der Weg zum Ziel stärkt genau die Maßnahmen, die CO₂ -Emissionen am wirtschaftlichsten reduzieren helfen.

Dieses Europäische Emissionshandelssystem gilt bisher nur für Europa. Weltweit hat sich ein zweites Zertifizierungssystem entwickelt. Dieses globale Zertifizierungssystem aus dem Bereich Green Finance bedeutet: Wenn ein Unternehmer heute zur Bank geht und eine Finanzierung möchte, muss er eine Nachhaltigkeitsstrategie vorweisen. Oder das Unternehmen muss negative CO₂-Zertifikate kaufen.

Das funktioniert wie bei Privatpersonen, die für einen Flug oder die Bestellung bei einem Lieferdienst ihren CO₂-Fußabdruck reduzieren möchten. Der CO₂-Ausstoß ändert sich dadurch nicht, aber das Unternehmen muss negative Emissionen kaufen. Also wird andernorts die gleiche Menge an CO₂ gespeichert. Das ist der freiwillige CO₂-Markt.

Die Handelsplattformen, die sich weltweit entwickelt haben, speichern CO₂ zum Beispiel in Biomasse, wie in Mangrovenwäldern oder in Seegras. Wir haben darüber beim C4 zum Thema Blue Carbon gesprochen. Blue Carbon ist ein Beispiel dafür, aber auch die CO₂-Speicherung unterirdisch in Kavernen, in Gesteinsformationen wie in Island, wo CO₂ unterirdisch und mineralisch gebunden wird. CO₂ kann auch in Biokohle zur Bodenverbesserung und Wasserhaltung umgewandelt oder in Mooren gebunden werden. Sind Landwirtschaft und Naturschutz also die neuen Profiteure eines CO₂-Marktes?

Negative Emissionen sind nicht Null-Emissionen. Für negative Emissionen muss das CO₂ aktiv aus der Luft herausgezogen und langfristig gebunden werden. Kohlenstoff wird langfristig gespeichert, zum Beispiel durch die Umwandlung in Gestein oder durch Bindung in Humus oder in Mangrovenwäldern oder Seegras sowie im Holzbau. Erst durch die langfristige Bindung wird von negativen Emissionen gesprochen.

Dieser freiwillige Markt entwickelt sich weltweit gerade dynamisch und erzielt höhere Preise als der CO₂-Markt der Europäischen Union.

Im C4 wurde darüber gesprochen: Können beide Märkte, der verbindliche europäische Markt und der globale freiwillige Markt zusammenkommen?

Eine Arbeitshypothese, die wir im C4 diskutierten: Kann der freiwillige CO₂-Markt der Schlüssel für die globale Klimaneutralität sein?

Das andere Modell ist das Klimaclubmodell, das Bundeskanzler Olaf Scholz initiierte. Es bedeutet, dass der EU-ETS-Markt, also der verbindliche Markt, auf möglichst viele Länder ausgedehnt wird. Ergänzt wird das durch den Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM).

Die Frage am 28. November 2024 im C4 lautete also: Kann der europäische, staatlich organisierte CO₂-Markt mit den internationalen freiwilligen Märkten verbunden werden?

Es fehlen bisher noch Technologien der CO₂-Speicherung. Es gibt Optionen, aber welche sind marktreif? Dies wurde anhand möglicher Marktdesigns diskutiert um zu sehen, welche neue Ideen in die Zukunft führen.

Die Zementindustrie und das CO

Professor Georg Locher, berichtete, dass seine Industrie, die Zementindustrie, mit Kohlenstoff gesegnet ist: „Wir haben so viel davon, dass wir auch gerne andere damit beglücken würden. Wir haben es leider in der Form von CO₂.“ Das CO₂ kommt in allererster Linie aus Kalksteinen.

Trotzdem begann er seinen Kurzvortrag mit einer positiven Nachricht. Gerade sei die SCHWENK Building Materials Group dabei, eine neue CO₂-Abscheidetechnologie, die sehr speziell für die Zementindustrie zurechtgeschnitten ist, in einem ihrer Werke zu erproben. Die entsprechende Forschungs- und Versuchsanlage sei gerade im Bau. Sie koste 120 Millionen Euro, die gemeinsam mit drei Marktbegleitern gemeinschaftlich investiert würden. Dabei verzichte man auf öffentliche Förderung, (…) „weil wir insbesondere Wert auf Schnelligkeit legen“, so Professor Locher.

Dazu erläuterte er: „Das CO₂ kommt bei uns in allererster Linie aus dem Kalkstein. Das heißt, für die Herstellung von Zement müssen Sie Kalkstein sehr, sehr stark erhitzen auf über 800 Grad.“ Für den gesamten Prozess müssten 1.450 Grad erreicht werden, aber bei über 850 Grad entweiche das CO₂ aus dem Kalkstein und gehe in die Atmosphäre. Das mache bei dem Prozess den Löwenanteil der Emissionen aus. Das betreffe die gesamte Zementindustrie. Zwei Drittel der Emissionen etwa komme aus dem Kalkstein, der restliche Teil aus der Verfeuerung.

Locher: „Wir sind bei Schwenk besonders stolz darauf, dass wir dabei bei diesen thermischen Energiequellen komplett auf sogenannte Sekundärbrennstoffe zurückgreifen können. Wir brauchen also keine fossilen Brennstoffe.“

Hinsichtlich des CO₂ gebe es im Augenblick bei der praktischen Umsetzung allerdings einige Herausforderungen. Für den Betrieb eines normalen Zementwerks brauche es rein rechnerisch 25 Windräder (durchschnittliche deutsche Windräder). Das gehe natürlich nicht in der Praxis, da Speicher, Batterien usw. vorhanden sein müssten. Für das Abscheiden von CO₂, das außerordentlich energieintensiv ist, würden weitere 100 Windräder benötigt. Ein großer Teil davon würde für die Kompression des CO₂ benötigt.

Das heißt, es müsse entweder auf über 100 bar komprimiert werden, dass es durch eine Pipeline transportiert werden kann, oder aber, weil in der nächsten Zeit keine CO₂-Pipeline zur Verfügung stehen werde, müsse es auf -30 Grad herunter gekühlt werden. Dann werde es flüssig und dann könne es in große Kesselwagen gefüllt werden. Auch das sei außerordentlich energieintensiv.

Für ein durchschnittliches deutsches Zementwerk würden etwa zwei ganze Züge mit solchen Kesselwagen täglich benötigt. Da passten dann ungefähr 60 Tonnen an tiefgekühltem, flüssigem CO₂ hinein. Dann bestehe die Möglichkeit, beispielsweise Methanol oder Sustainable Aviation Fuels, künstliches Kerosin, unter anderem für den Flugverkehr, daraus zu machen. Dafür würden dann aber zusätzlich 300 Tonnen grüner Wasserstoff täglich benötigt – 100.000 Tonnen im Jahr. „Ist das viel?“, fragte Locher und merkte an: Der Hafen von Rotterdam ist der größte Energie importierende Hafen Europas. Dort werde geplant, im Jahr 2030 etwa eine Million Tonnen Wasserstoff zu importieren. Diese eine Million Tonnen seien allerdings nicht für die Zementindustrie allein geplant, sondern Professor Locher meinte, er gehe davon aus, dass hier in allererster Linie an die Chemieindustrie gedacht werde.

„Das ist verdammt viel, was wir brauchen“, sagte Locher. „Deswegen warten wir natürlich dringend auf das Wasserstoffnetz.“ Das werde aber ärgerlicherweise nach dem gegenwärtigen Stand erst im Jahr 2032 fertig. Schwenk plane allerdings damit im Jahr 2030 zu beginnen. Der Wasserstoff könne natürlich auch per Bahn zum Werk transportiert werden.

Ein Container wie er zum Beispiel von der Deutschen Bahn angeboten werde, fasse allerdings nur 1,3 Tonnen. Für 300 Tonnen, die täglich zum Zementwerk gebracht würden, brauche man entsprechend über 200 Waggons. Das sei also unrealistisch.

Auch die Alternative vor Ort mit Elektrolyseuren zu arbeiten sei schwierig, denn davon bräuchte man 600 Einzelelektrolyseure der Ein-Megawatt-Klasse. Diese würden derzeit üblicherweise eingesetzt. Man könne auch größere bauen, vier Megawatt beispielsweise. Dann würden aber noch immer 150 benötigt plus 750 zusätzliche Windräder nur für die Bereitstellung des notwendigen Wasserstoffs.

Dann komme noch die europäische Gesetzgebung hinzu, mittels derer genau vorgeschrieben werde, was grüner Wasserstoff ist. Im sogenannten Delegierten Rechtsakt sei festgelegt worden, dass die Windräder und Elektrolyseure komplett neu zu bauen seien. Und der letzte Punkt ist, so Locher: „Sie müssen alle auch zum gleichen Zeitpunkt betreiben. Das ist die Gleichzeitigkeitsregel. Spätestens an dieser Stelle haben wir gesagt: Das ist ein wunderschönes Projekt für die Zukunft. Wir können es aber praktisch derzeit leider nicht umsetzen.“

Locher resümierte, dass sich Schwenk deshalb derzeit nur auf die Speicherung von CO₂ konzentrieren könne. Laut der Untersuchungen des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), dem sogenannten Weltklimarat, und der entsprechenden Szenarien hinsichtlich der Einhaltung eines 1,5 Grad beziehungsweise 2 Grad Klimaziels sei ersichtlich, wie viel CO₂ in Zukunft gespeichert werden müsse, um die Klimaziele zu erreichen. „Wir reden von vielen 100 Gigatonnen“, so Locher. Zum Vergleich: Deutschland emittiere in der Summe weniger als eine Gigatonnen jährlich. Aber das IPCC sage, wir müssten mehrere 100 Gigatonnen aus der Atmosphäre zurückholen, so Locher. „Damit würde ich sagen, CO₂-Speicherung ist eine Technologie, auf die auch der Weltklimarat ganz massiv setzt. Und so sehen wir uns natürlich auch an der Stelle mit der entsprechenden Rückendeckung des IPCC.“

„Da schließen sich viele Fragen an“, kommentierte Moderator Professor Wehrspohn den Beitrag von Professor Locher. Ist die CO₂-Speicherung wirklich die einzige Möglichkeit? Wie sieht das der Weltklimarat? Muss wirklich das CO₂-Molekül physikalisch von dem Zementwerk in die Kaverne in Norwegen oder kann das auch bilanziell sein?

Die Risiken eines CCS-Verbots sind größer als die Risiken von CCS

Professor Andreas Löschel, acatech Mitglied und Inhaber des Lehrstuhls Umwelt-/Ressourcenökonomik und Nachhaltigkeit an der Ruhr-Universität Bochum hatte im C4 am 16. Dezember 2021 bereits über die IPCC-Szenarien gesprochen, die er als ein Leitautor im Jahr 2014 erstmals aufgeschrieben hat. Hier sei das erste Mal deutlich geworden: „Ohne negative Emissionen wird das alles nicht klappen“, so Professor Löschel. Da wäre das 2-Grad-Ziel ganz schwer zu erreichen und das Erreichen des 1,5-Grad-Zieles sei ausgeschlossen. Im Hinblick auf den Beitrag von Professor Locher sagte er: „Ich glaube, wir laufen da in eine falsche Richtung, wenn ich das mal sagen darf, auch was den Delegierten Akt angeht. Es kann ja nicht die Zielsetzung sein, diese Optionen zu verhindern, sondern wir müssen die ermöglichen und relativ schnell hochskalieren, sonst haben wir ein großes Problem.“

Sein Impulsbeitrag beziehe sich auf die Arbeit im Kontext des Akademienprojekts Energiesysteme der Zukunft (ESYS) „Kohlenstoffmanagement integriert denken“, wo er seit Anfang des Jahres Vorsitzender des Direktoriums ist, eine Initiative der Deutschen Wissenschaftsakademien Leopoldina, der Nationalen Akademie der Wissenschaften, acatech, Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften. Im Rahmen dessen seien auch Kohlenstoffmanagement und die Herausforderungen für eine Gesamtstrategie, die die verschiedenen Bausteine zusammenbringe, diskutiert worden, so Löschel. Das Dokument sei insbesondere aufbauend auf die ersten Entwürfe zum Thema Carbon-Management-Strategie (CMS) und Langfriststrategie Negativemissionen (LNe). Trotz der Weiterentwicklung seien die grundsätzlichen Fragen noch vorhanden und zu lösen. Die beiden Dokumente adressierten unterschiedliche Bereiche, würden sich aber auch überlappen. Im Kontext des ersten Bereichs, der Carbon-Management-Strategie, gehe es um die Fragen, wie mit schwer vermeidbaren Emissionen insbesondere der Industrie- und Abfallwirtschaft umgegangen werden könne und was unvermeidbare Restemissionen sind.

Bei der Langfriststrategie solle es darum gehen, wie von Restemissionen ausgehend Treibhausgasemissionen kompensiert werden könnten. Die Funktion von CCS (Kohlendioxidabscheidung und -speicherung – Carbon Capture and Storage) /CCU (Kohlendioxidabscheidung und -verwendung – Carbon Capture and Utilization)-Entnahmen änderten sich etwas über den Zeitablauf. „Im letzten IPCC-Bericht im Energiekapitel haben wir versucht herauszuarbeiten, wie sich über die Zeit auch die Systematik etwas verändert“, erläuterte Löschel.  Am Anfang drehe es sozusagen bei, dann übernehme es die Restemissionen und dann generiere es die negativen Emissionen. Diese Technologien müssten über die Zeit nach oben gefahren werden. Ökonomisch gebe es drei große Möglichkeiten, mit dem Klimawandel umzugehen. Der Umgang mit den Schäden des Klimawandels – Anpassung. Die Frage, wie diese Schäden reduziert werden könnten. Das sei die Vermeidung.  Dann bestehe die Frage, wie diese Vermeidung ergänzt werden könne, um diese Entnahmen aus der Atmosphäre, um dann netto 0 zu erreichen.

Ökonomisch seien das alles Trade-offs. Löschel: „Es ist immer klar, dass es Optimalitäten gibt zwischen eben diesen drei Kompartments Vermeidung, Anpassung und Entnahme. Es ist ökonomisch meistens nicht sinnvoll, in eine der Richtungen zu stark zu gehen, sondern wir brauchen ein gutes Optimum. Es macht eben auch keinen Sinn, zum Beispiel Emissionen auf 0 zu bringen, weil dann die letzten Emissionsmarktvermeidungen unendlich groß werden und unendlich teuer.“ Sondern man werde ein Optimum finden müssen, wo die Dinge in Übereinklang gebracht werden, dass sich die Schäden und die Kosten über diese drei Optionen ausgleichen. Das sei aus seiner Sicht eine ganz wichtige Randbedingung. Wir müssten eben auch diese Entnahmen hochfahren, weil sie uns helfen, nie zu stark Emissionen vermindern zu müssen und damit diese exzessiven Kosten, die entstehen, um die letzten paar Prozent wegzubekommen, abzufedern, so Löschel.  Das werde in dem Text diskutiert. Es bedürfe auch enger Abstimmung, insbesondere bei der Infrastruktur. „Das ist ja gerade schon hier angeklungen“, sagte Löschel. Und man müsse schauen, wie da die verschiedenen Anwendungen wie BECCS (Bioenergie mit Kohlendioxidabscheidung und -speicherung – (Bioenergy with Carbon Capture and Storage), DACCS (Kohlendioxidentnahme aus der Luft mit anschließender Kohlendioxidspeicherung – Direct Air Capture and Storage), und so weiter überhaupt mit reinkämen. Das sei in den Berichten noch nicht konsistent gemacht, wäre aber aus seiner Sicht eine ganz große Notwendigkeit.

2014 im IPCC seien auch die Kosten festgestellt worden, die entstünden, wenn bestimmte Technologien nicht zur Verfügung stehen. In Deutschland seien wir ja relativ groß darin, Technologien auszuschließen. Das könne man machen, aber was bedeute das? Nun ausschließen, also insbesondere Bioenergie mit CCS, das werde massiv teuer. Das bedeute, Nutzen und Kosten nebeneinander zu legen. CCS berge Risiken, aber die Risiken eines CCS-Verbots, die wären noch viel größer. Das heißt, es brauche eine Gesamtabwägung, die hier gemacht werde.

Es bräuchte wahrscheinlich eine pragmatische Überlegung, wie die CO₂-Speicherung angegangen werden könne.  Der Export von Umweltproblemen, also das Schiffen von CO₂ nach Norwegen, sei eine Überlegung, die auch schwierig sei. Das werfe ethische Fragen auf. Das bedeute, wir müssten wahrscheinlich auch überlegen, wie diese Optionen der geologischen Speicherung auch onshore in der Zukunft entwickelt werden könnten. Zumindest müssten laut Professor Löschel die Vor- und Nachteile hier wirklich auf den Tisch gelegt werden, „weil wir eigentlich in der Zukunft wahrscheinlich diese Option auch haben möchten“ und wir sie entsprechend auch wissenschaftlich mitführen möchten, so Löschel.

In dem Kontext kämen die Kolleg:innen zu der Erkenntnis, dass CCU von den Potenzialen her begrenzt ist. Jedenfalls sei CCU kein perfekter Ersatz für CCS. Im Dokument würden hier weitere Fragen aufgestellt, das könne man auch noch einmal nachlesen, was im Kontext von CCU eher einschränkend sei.  Aber es sei einer der Bausteine, die wichtig seien, auch für den Weg nach vorne.

Was aus seiner Sicht noch spannender sei, wäre wie der Hochlauf gemacht werden könne und was das eigentlich bedeute. Einmal natürlich in der Definitorik. Wir müssten glaube ich immer auch sagen, dass das kein voller Ersatz ist für Minderung. Sonst sei auch die Akzeptanz für das Instrument rasch verloren. Es ist eine Ergänzung, wie ich sie beschrieben habe und sie ist, in so einen Mix einzuordnen zwischen Anpassung, Minderung und Entnahmen und ökonomisch auszubalancieren, so Löschel. Das müsse auch immer entsprechend kommuniziert werden, sonst verliere man da die Menschen. Auch müsse geschaut werden, wie die unterschiedlichen Zeitskalen sind und wie das definiert werden könne. „Also ich sage mal schwer vermeidbar ist eben unklar“, sagte Löschel. Ist es technisch, ökonomisch, infrastrukturell, statisch oder dynamisch? Also hier brauche es auch eine gewisse Konsensbildung, was man da eigentlich meine, ob der Begriff eher breiter oder kürzer gefasst ist. Der werde zunächst relativ vage gehalten. Aber das werde in der Umsetzung natürlich eine ganz große Rolle spielen.

Dann werde eine Frage sein, wie diese Hochskalierung machbar sei. Da gebe es verschiedene Henne-Ei-Problematiken. Eine, die stark an der Infrastruktur hänge, also die Frage, wie könne eine CO₂-Infrastruktur geschaffen werden, die dann ermögliche, diese Option überhaupt zu ziehen. Die zweite Frage, wie können ökonomische Randbedingungen geschaffen werden, dass das Ganze attraktiv und auch ein Business Case wird. Das seien auch gerade die Diskussionen, die geführt würden. Hier stünden auch Entscheidungen an, sowohl auf EU-Ebene als auch national, was in Zukunft umgesetzt werden soll. Die Zielsetzung müsse laut Löschel sein, dass in der mittleren Frist eine CO₂-Bepreisung bestehe, die tatsächlich einen Revenue Stream generiere, der ein Hochfahren wirtschaftlich einfacher mache. Und das gehe in verschiedenen Kontexten. Man könne sich überlegen, das Schritt für Schritt in den Markt zu integrieren. Diese Menge, die ich zugebe, über die negativen Emissionen mit Entnahme, die beschränkten den Preis im Emissionshandel dann ultimativ. Das heißt, es gehe darum zu überlegen, wie das gesteuert werden soll, welche Preise es im Emissionshandel geben soll und wie stark eingewirkt werden soll. Dies sei auch eine Diskussion, die augenblicklich geführt werde. Klimaziel: Klimaneutralität 2045/ 2050 sei eigentlich eine Diskussion, wie viel negative Emissionen in die Systeme hineingebracht werden.

Ottmar Edenhofer, Direktor und Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung sowie Direktor des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change und Professor für die Ökonomie und Politik des Klimawandels an der TU Berlin, habe vorgeschlagen, so etwas wie eine Carbon Bank einzurichten, also eine Zentralbank, die sage, das sind akzeptierbare CO₂-Preise. Das wäre dann ein Zuschießen aus diesem zweiten Topf der negativen Emissionen, das von einer unabhängigen Institution gemacht werden könnte. Davor könne man einen eigenen Topf aufbauen, wo diese negativen Emissionszertifikate erst einmal gesammelt würden und dann in irgendeiner Form vielleicht auch anders bewertet würden, weil eigene Ziele gesetzt werden und dann über so einen Strang in den anderen Markt mit reinkommen. „Also ich glaube, da ist dann tatsächlich die Regulierung gefragt“, sagte Löschel: Wie kann man gute Anreize setzen, wissend, dass die Preise beziehungsweise die Kosten augenblicklich noch hoch sind. Das sei der eine Topf, die Entnahmen, aber dann eben das Scharnier, wie möchte ich die in diesen Markt reinbringen, um die Preise niedrig zu halten und dann diesen Trade-off zu schaffen. Vielleicht ist eine Möglichkeit, diese Dinge separat zu halten und dann über eine unabhängige Institution in der mittleren Frist diese schwierigen Fragen, die es dann offensichtlich gibt, zu klären, denn es sind ja Trade-off Verteilungsfragen der Akteure in den verschiedenen Emissionshandelssystemen zu lösen. Vielleicht ist es gut dafür, so eine Europäische Klimazentralbank zu schaffen, die das dann leisten kann.

Professor Wehrspohn fragte nach, ob es also nicht der Wunsch sei, zwei bestehende CO₂-Märkte, der eine, der auch freiwillige Projekte weltweit fördert, der andere, der verpflichtend ist, zusammen zu führen. Er bat Professor Löschel, das einzuordnen, den europäischen ETS-Markt du den internationalen Markt. „Was sind da Ideen zu regionalen Eingrenzungen?“, fragte Wehrspohn.  

Der freiwillige Markt sei der hauptsächliche Treiber, weil es die politische Einbindung noch überhaupt nicht gebe, bestätigte Löschel. Man könne sich darüber unterhalten, was das bedeute, das im regulatorischen Kontext stark zu verankern, was Monitoring, Reporting, die Nachweispflichten usw. angehe. Das sei dann sicherlich noch einmal anders hinterlegt, wenn das in den regulatorischen Kontext komme. Wie kommen die Regulatorien, wie Claims Directive zum Beispiel oder die Lieferketten-Gesetzgebung und Anrechnung durch die Hintertür rein? Vieles, was aus der Regulatorik kommt, werde überschwappen, so Löschel. Die beiden Dinge, die würden nicht so ganz getrennt bleiben, sondern da werde es Hintertüren geben in der Implementierung auf europäischer Ebene, die dann global ausstrahlten. Das wäre in Baku sichtbar geworden. Es gebe einen grundsätzlichen Rahmen für Artikel 6, das seien diese Möglichkeiten der Interaktion. „Mein Gefühl ist, das muss sich jetzt alles entwickeln“, sagte Löschel. Wahrscheinlich werde die europäische Regulierung in irgendeiner Form global ausstrahlen, weil man das in irgendeiner Form nutzbar machen möchte und dann diese anderen Regulierungsansätze da eine Rolle spielen würden. Er hoffe weniger restriktiv als bei RED III („Erneuerbare-Energien-Richtlinie/RED III“) und nahm damit noch einmal Bezug auf den Vortrag von Professor Locher.

Mit Carbonatisierung zertifizierte CO2-Kompensation von mindestens 1.000 Jahren

Dr. Maria Gaudig vom ITEL (Deutsches Lithiuminstitut) stellte eine Methode vor, wie CO2 gebunden werden kann, um tatsächlich negative Emissionen zu erzeugen. Die Methode binde CO2 fest an mineralische Reststoffe. Als Hintergrund für drei zentrale Fachbegriffe stellte Gaudig die drei Strategien zum Umgang mit unvermeidbaren CO2-Emissionen vor: CCS (Carbon Capture and Storage), CCU (Carbon Capture and Utilisation) und CDR (Carbon Dioxide Removal).

Es gebe zwei Kohlenstoffquellen: Auf der einen Seite Industrieprozesse und Kraftwerke, die fossilen Kohlenstoff freisetzen und auf der anderen Seite Kohlenstoff in der Atmosphäre. In Kohlenstoffsenken sei Kohlenstoff dauerhaft gespeichert, etwa in biologischen, geologischen und terrestrischen Prozessen oder auch in Baumaterialien.

Der Begriff CCS bezeichne Methoden, die an fossilem Kohlenstoff ansetzen und diesen in Kohlenstoffsenken speichern. CCU-Methoden setzen auch an fossilem Kohlenstoff an, speichern diesen allerdings in wertvollen Produkten. Diese Kohlenstoffprodukte seien allerdings keine Kohlenstoffsenken, sondern geben den Kohlenstoff immer wieder an die Atmosphäre ab.

Nur CDR erzeuge negative Emissionen, indem Kohlenstoff aus der Atmosphäre in Kohlenstoffsenken dauerhaft gespeichert werde. Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu entfernen sei entscheidend, um die Klimaziele zu erreichen.

Carbon Dioxide Removal sind Negativ-Emissionsmethoden

CDR-Methoden „fangen CO2 ein“, so Gaudig. Möglichkeiten reichen von naturbasierten Methoden wie das Aufforsten von Wäldern und Renaturieren von Mooren über hybride Methoden, die Biomasse in Gebäude einbringen, zu technologiebasierten Methoden. Zu der letzten Kategorie zählen Methoden, CO2 entweder direkt aus der Luft (DACCS) oder über Bioenergie (BEECS) abzuscheiden und permanent zu speichern, die in letzter Zeit viel beforscht wurden. Diese technologiebasierten Methoden haben gerade „Aufwind“. Dazu zählt auch die von Gaudig vorgestellte Methode der dauerhaften chemischen CO2-Bindung in Produkten wie etwa Baustoffen.

Beschleunigte CO2-Bindung an mineralische Reststoffe

Die Grundlage für die entwickelte Methode sei Carbonatisierung, eine chemische Reaktion bei der CO2 mit mineralisch aktiven Stoffen am Ende stabile Carbonate bilden. Mit Carbonatisierung kann in einer Tonne Zement etwa eine Zehntel Tonne CO2 gespeichert werden. Praktisch sei, dass Carbonatisierung an der natürlichen Umgebungsluft stattfinde. Jede Betonwand carbonatisiere in diesem Moment. Der Haken sei, dass es bis zu 1.000 Jahre dauere, bis signifikante Mengen CO2 gespeichert seien.

Carbonatisierung laufe grundsätzlich so ab: CO2 werde in mineralisch aktiven Mineralien wie Fayalit gebunden, ein Eisensilikat, chemisch fest, sodass es sich nicht mehr lösen und entweichen könne. Olivine, Serpentine und Wollastonite seien neben weiteren Mineralien für diesen Prozess geeignet und befinden sich in der Erdkruste. Durch den Abbau finden sie sich in Produkten wie Zement, Beton und Asche sowie durch die Erze, die in die Metallverarbeitung gehen, in Schlacken wieder.

Beschleunigte Carbonatisierung sei möglich. Die Chemie kenne einige Parameter zum Beschleunigen von Reaktionen. Optimale Feuchtigkeit erhöhe die Mobilität der Ionen und löse CO2 in Bicarbonate auf, die CO2-Konzentration erhöhe die Wahrscheinlichkeit für Reaktionen, optimaler Druck erhöhe die Löslichkeit von CO2 in Wasser und optimale Temperatur sorge wiederum für die Balance zwischen CO2-Löslichkeit und Reaktionsgeschwindigkeit. Für eine hohe Effizienz müsse das Material dafür in möglichst kleinen Körnern oder möglichst porös sein, da die Reaktion an der Oberfläche stattfinde.

Carbonatisierungspotenzial von Reststoffen

Gaudig zeigte ein Foto einer solchen Mineralisierungskammer, in der am ITEL zusammen mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Mineralien unter optimierten Bedingungen beschleunigt carbonatisiert werden. Ihr Kollege Andreas Neumann habe dadurch das Carbonatisierungspotenzial verschiedener Reststoffe bestimmen können, etwa von Wollastoniten. Unter optimaler Temperatur könne die maximale Sättigung mit CO2 unter einem Tag erreicht werden. „Also das, was normalerweise an der Umgebungsluft in hunderten von Jahren passiert, können wir hier beschleunigt innerhalb von einem Tag machen“, sagte Gaudig.

Eigentlich beschäftige sich das ITEL doch mit Lithium, warum werde zu Carbonatisierung geforscht? Bei der Gewinnung von Lithium aus Erzen entstehen tonnenweise Nebenprodukte. Dass Restmaterialien nicht einfach deponiert werden, sei wichtig. Untersucht werde, ob sich die Nebenprodukte auch als Gips oder zementartiges Material verwenden lassen. Das ITEL arbeite mit Baustoffherstellern zusammen, die ebenfalls „riesige Halden“ von mineralisch aktiven Reststoffen haben. Viel Material zum Carbonatisieren sei also vorhanden.

Reststoffe als Kohlenstoffsenke in der kommerziellen Nutzung

Mittlerweile gebe es schon Beispiele für die kommerzielle Nutzung von Restmaterialien als CO2-Senken mit der beschleunigten Carbonatisierung. In den USA plane GreenOre CleanTech eine Anlage in der 25.000 Tonnen CO2 pro Jahr an das Restprodukt Eisenschlacke gebunden werden soll. Das gute am Carbonatisieren sei, dass sich die chemischen Eigenschaften des Produktes nicht wesentlich verändern. Carbonatisierte Schlacke könne wie bisherige Schlacke als Straßenbelag verwendet werden.

Das Unternehmen Neustark zeige ein anderes Beispiel für die kommerzielle Nutzung von Carbonatisierung im deutschsprachigen Raum. Neustark bringe Baustoffrecycler mit Betreibern von Biogasanlagen zusammen. In einer Mineralisierungsanlage werde nach dem gleichen Prinzip das CO2 an die Reste von Gebäuden gebunden. „Besonders toll“ sei, dass sie dabei eine Speichereffizienz von 85 bis 93 Prozent erreichen. Die hohe Speichereffizienz beziehe auch das CO2 mit ein, das beim Transport und dem Carbonatisierungsprozess entstehe, die graue Energie. „Das ist schon bemerkenswert hoch“, sagte Gaudig. 

Potenzial beschleunigter Carbonatisierung bis 2030

Die beschleunigte Carbonatisierung sei als Technologie schon recht ausgereift und werde bereits kommerziell genutzt. Aktuell seien die Speichermöglichkeiten noch „kaum nennenswert“. Institutionen gehen jedoch davon aus, dass bis 2030 mehreren Millionen Tonnen CO2 jährlich bis 2030 mit dieser Methode gespeichert werden.

In der freiwilligen CO2-Kompensation liege der Preis für ein Zertifikat über eine Tonne gespeichertes CO2 bei 300 bis 400 Euro. Biologische Methoden der CO2-Speicherung erzielen wenige Euro pro Tonne. Der Unterschied, der etwa für große Tech-Unternehmen und Versicherer den hohen Preis rechtfertigt, liege in der langen Speicherdauer. CO2-Kompensation mit Carbonatisierung zertifiziere eine Speicherung von mindestens 1.000 Jahren. Aufforstungsprojekte können üblicherweise 20 bis 35 Jahre CO2-Speicherung garantieren. Für die Methode spreche ebenso, dass die EU sie in ihrer CRFC-Verordnung bereits anerkenne. Darin sind unter anderem Qualitätsrichtlinien für wertvolle CO2-Senken festgeschrieben.

Die hohen Kosten seien derzeit noch eine Herausforderung und die Wertschöpfungsketten müssten noch aufgebaut werden, etwa indem Biogasanlagen möglichst nah an den Reststoffverwertern seien. Auch die mit CO2 aufbereiteten Stoffe können noch nicht einfach weiterverwendet werden, auch wenn technisch nichts dagegen spreche, bis regulatorisch nachgesteuert werde. Aktuelle Studien gehen davon aus, dass bei freiwilligen CO2-Zertifikaten ab 2035 ein Marktanteil zwischen zehn und 30 Prozent zu erwarten sei und dieser weiter stark steigen werde. Es gehe bald los, so Gaudig.

Mit einer Illustration aus der Wissenschaftskommunikation des ITEL brachte Gaudig zum Schluss eine hoffnungsvolle Botschaft: Carbonatisierung könne aus dem Schreckgespenst CO2 eine für Mensch und Klima ungefährliche Gestalt machen.

Bigenes CO aus dem Schornstein

„Jetzt gibt es aber wirklich Unternehmen, die aus dem Schornstein biogenes CO2 erhalten und ich freue mich sehr, dass wir einen solchen Gast hier haben“, leitete Moderator Professor Wehrspohn zu Dr. Sebastian Kunz von der Südzucker AG über.

Dr. Kunz war bereits im März 2022 im CarbonCycleCultureClub auf dem Podium vertreten und hatte damals zum Thema Zucker als Baustoff referiert. Der C4 zu diesem Thema fand in Zeitz statt. Dieses Mal erläuterte Dr. Kunz zunächst, was hinter Südzucker steckt. Das Unternehmen beschäftige gut 19.000 Mitarbeiter:innen weltweit, habe einen Jahresumsatz von 10,3 Milliarden Euro sowie 100 Produktionsstandorte weltweit. Aber im Kern sei es ein europäisches Unternehmen. Die Kernkompetenz sei die Verarbeitung von agrarischen Rohstoffen mit der entsprechenden Logistik. Das Unternehmen ist in fünf Segmente aufgeteilt: der klassische Zucker-Bereich, im Bereich Spezialitäten sei alles gebündelt unter der Beneo, was mit Nutrition und Health zu tun hat, darüber hinaus ist Convenience Food über Freiberger in der Unternehmensgruppe vertreten. Portion Pack bietet Kleinstverpackungen an, die man aus dem Gastro- oder Hotelbereich kenne. Das dritte Segment, für den Beitrag im C4 wichtig, ist die CropEnergies. Bis vor kurzem war sie an der Börse und gehörte Südzucker zu 70 Prozent. Man habe aber letztes Jahr beschlossen sie wieder vollständig zu integrieren und sei dabei, auch die letzten Aktien noch zu kaufen. In der CropEnergies ist das Ethanolgeschäft gebündelt. Südzucker hat drei Ethanolanlagen, in denen aus Futtergetreide und Reststoffen der Lebensmittelproduktion Ethanol hergestellt wird und als Kombiprodukt unter anderem biogenes CO₂.

Wichtig für Außenstehende seien die beiden Themen: Proteine und biobasierte Chemikalien. Das seien die Felder, in denen in Zukunft Produkte weiterentwickelt würden: zum einen im Bereich nicht-tierische Proteine, und zum anderen biobasierte Chemikalien: „Wir haben biogenen Kohlenstoff und den wollen wir nicht nur in den heutigen Anwendungen, die Food, Feed und Energie sind, sondern auch in der stofflichen Nutzung zur Anwendung bringen“, sagte Dr. Kunz. Südzucker gehöre zur energieintensiven Industrie.

Das lasse sich am Zucker am einfachsten zeigen. Wie stellt man Zucker her? Eigentlich ist es ganz simpel, so Kunz. Man kriegt die Rübe. Man muss sie waschen, man muss sie schneiden. Wenn man dann die Rübe geschnitten hat, in sogenannte Rübenschnitzel, dann wird das Ganze eingeweicht und aus den Rübenschnitzeln wird ein Zuckersaft extrahiert, der sogenannte Dünnsaft. Dieser hat einen Zuckergehalt von 15 bis 18 Prozent. Der Rest ist größtenteils Wasser. Es finden dann noch Reinigungsstufen statt. Zum Entziehen des Wassers aus dem Dünnsaft wird dieser eingedickt zum sogenannten Dicksaft. Man erhält schon einen Zuckergehalt von über 70 Prozent. Dann werde kristallisiert. Das bedeutet, hohe Wassermengen, seien aus dem Produkt zu entfernen. „Und wer Wasserverdampfen kennt, der weiß, das ist ein energieintensiver Prozess“, erläuterte Kunz.

„Wir haben heute auch schon über das Thema Kohle gesprochen“, ergänzte er.  Die Zuckerindustrie ist eine sehr alte Industrie. Vielfach sind historisch die Fabriken dort entstanden, wo es Rüben gab und Kohle als Energie. In dem Bereich Energie spiele für das Unternehmen das CO₂ natürlich auch eine negative Rolle. Für Südzucker sei es wichtig, die Produktion zukünftig CO₂-neutral zu gestalten. Es gebe einmal die ganz konventionellen Maßnahmen, um Effizienzen zu heben: Wärmedämmung, bessere Wärmeintegration. Das sind Maßnahmen, die in der Vergangenheit schon immer stattgefunden haben. Aber wie kann man noch weiterkommen? Es stehe natürlich das Thema Elektrifizierung auch mit im Vordergrund. Hier gehe es im Wesentlichen darum, Wärmepumpen zu integrieren, um Abwärme besser nutzen zu können und damit den Primärenergiebedarf herunterzufahren.

Eine Wärmepumpe ist ein Abwärmenutzer, aber kein Wärmeerzeuger. Das sei häufig, so meinte Kunz, in der Politik etwas missverstanden worden. 100-prozentiges Elektrifizieren kann man mit einer Wärmepumpe nicht erreichen und die restliche Energie, die Primärenergie, die man hier zur Verfügung stellt, dann noch durch Strom zur Verfügung zu stellen, sei auch nicht trivial und nicht sinnvoll, erläuterte er. Deswegen sei der Ansatz des Unternehmens: Elektrifizieren mit Wärmepumpen, um den Energiebedarf weiter zu senken und die Grundbasisenergie mit sogenannten Grüngasen bereitzustellen. Unter Grüngasen verstehe man zum einen die Möglichkeit, grünen Wasserstoff zu nutzen. Eine andere Möglichkeit für das Unternehmen sei es, da aus den Produktionen immer Reststoffe entstünden, in die Biogaserzeugung zu gehen und dieses Biogas dann wiederum für die eigene Produktion zu verwenden. Das Konzept wurde in der Bewerbung für den Klimaschutzvertrag eingereicht. Für das Werk Zeitz ist Südzucker mit dem Projektvorschlag CO₂-neutrale Zuckerproduktion prämiert worden und werde jetzt in die Umsetzung gehen. Genau mit den Maßnahmen, die er beschrieben habe, so Kunz.

Südzucker habe zudem biogenes CO₂. In der Zuckerfabrik am Produktionsstandort in Zeitz werden Rüben zu Weißzucker verarbeitet und die Rübenschnitzel in Zukunft zu Biogas. In der Stärkefabrik wird Weizenstärke produziert und aus der Weizenstärke dann Glukosesirupe. Was als Koppelprodukt anfällt, sind die Weizenproteine und die Spelzen, die in die Tierfütterung gehen.  Bei der Ethanolproduktion wird Futtergetreide verarbeitet sowie Reste aus den anderen beiden Produktionsstätten, also kohlenhydrathaltige Reste.

Die Ethanolproduktion sei ganz einfach zu erklären. Wer wisse, wie ein Whisky hergestellt wird, der wisse auch, wie Ethanol im großen Maßstab hergestellt wird. „Wir fermentieren genauso wie ein Whiskybrenner“, berichtete Kunz. Nach der Fermentation muss man den Alkohol herausdestillieren. Der Alkohol gehe heute größtenteils in den Treibstoffmarkt. Aber auch größere Mengen in den Lebensmittelbereich. Was an Fermentationsresten übrig bleibt, das wird getrocknet. In der Fermentationsbrühe bleiben vor allem die Proteine zurück, die als proteinreiches Futtermittel weiterverarbeitet werden können. Wie bei jeder Fermentation entstehe Kohlensäure. „Ein Teil dieses CO₂ nutzen wir bereits heute, verflüssigen das und geben es auch in die Getränkeindustrie. Wir haben aber auch nach wie vor noch nicht genutzte Reserven“, sagte Kunz. Man kann sagen, dass in der Fermentation im Prinzip pro Tonne Ethanol eine Tonne biogenes CO₂ aus der Fermentation entsteht. In Zeitz habe Südzucker eine Produktionskapazität von knapp über 300.000 Tonnen. Das heißt, das Potenzial von biogenem CO₂ liegt auch bei über 300.000 Tonnen. „Wir haben mit der Biogasproduktion noch neue potenzielle CO₂-Quellen“, so Kunz. Hier entstehe CO₂ im fünfstelligen Tonnagenbereich.

In Zukunft werde biogenes CO₂ mit Sicherheit auch einen Wert haben, so Kunz. Für das Unternehmen stelle sich die Frage, wie mit diesem CO₂ mehr Wertschöpfung erreicht werden kann. Ein Thema, das heute auch schon mal angesprochen wurde, ist das Thema Methanol, so Kunz. „Wir haben uns in dem Förderprojekt auch schon mit dem Thema Methanol auseinandergesetzt“, sagte Kunz. Mit der gesamten Wertschöpfungskette: vom Windrad über Elektrolyse, Herstellung von Methanol aus biogenem CO₂ und grünem Wasserstoff und haben auch in Richtung der Anwendung geschaut. Man sei auch der Überzeugung, dass es eine sehr sinnvolle und zukunftsfähige Wertschöpfungskette ist, aber man sehe eben auch, heute wurde schon über das Thema RED II und III (Erneuerbare-Energien-Richtlinie REDII und III (Renewable Energies Directive II und III)) gesprochen, wie eng der Rahmen ist, was grüner Wasserstoff ist. „Also unter solchen Voraussetzungen sind natürlich solche Projekte auch nicht tragfähig“, resümierte Kunz.

Wenn sich aber die Rahmenbedingungen änderten, dann müsse man klar sagen, dass biogenes CO₂ in Kombination mit Wasserstoff und grünem Methanol, ein Produkt sei, das sehr vielfältig einsetzbar ist. Methanol kann man in die konventionelle Infrastruktur von Raffinerien einsetzen und so direkt zur Treibhausgasminderung beitragen. Im Schiffsbereich, Maersk hat beispielsweise zahlreiche Schiffe bestellt, die methanolfähig sind, ist es nutzbar und last but not least natürlich im Bereich Fliegen: Sustainable Aviation Fuels (SAF). Hier geht man momentan hauptsächlich auf die Used Cooking Oils (UCOs), aber auch die seien irgendwann aufgebraucht und dann werde es wahrscheinlich auch synthetische Kraftstoffe in diesem Bereich brauchen.

Professor Ralf Wehrspohn resümierte: „Wir sind am Anfang der Durchdringung dieses Themas. Ich habe eine wirklich interessante Runde hier heute dazu. Wir nähern uns.“ Offen sei noch, wie der internationale Carbon-Markt mit dem Europäischen Markt zusammenkomme und wie stabil dieser freiwillige CO₂-Markt sei. Es gibt viele Fragen, die noch offen sind. „Das wird nicht unser letzter C4-Club dazu sein“, so Professor Wehrspohn.

Für ihn sei letztendlich der Schlüssel dieser Fragen: „Muss ich alles atomspezifisch machen?“ Muss das Molekül, das beispielsweise vom Zementwerk kommt, muss wirklich dieses spezifische Molekül verpresst oder carbonatisiert werden, oder kann ein solches Molekül irgendwo auf der Welt genommen werden? „Wenn wir das Thema noch einmal diskutieren, dann könnte das ein Schlüssel sein“, gab er bereits einen Ausblick. Dann müsse nicht mehr transportiert werden, es entstehe weniger Energiebedarf – das könnte eine Lösung sein. Das habe natürlich viele Implikationen, „die wir noch gar nicht durchdacht haben, die wir heute andiskutiert haben. An der Stelle denke ich enden wir mit Fragen. Was gut ist, denn die Idee vom CarbonCycleCultureClub ist ja auch, Fragen zu stellen und nicht jede zu beantworten“, sagte Professor Wehrspohn.