Prof. Dr. Peter H. Seeberger im Interview zum vierten Carbon Cycle Culture Clubim ehemaligen Kraftwerk Zschornewitz
Prof. Dr. Peter H. Seeberger, Direktor am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam, Professor an der Freien Universität Berlin und Honorarprofessor an der Universität Potsdam, im Gespräch über seine Forschung und den Großforschungsantrag „Chemresilienz“.
Prof. Dr. Seeberger war am Donnerstag, 24. Februar 2022 ab 18 Uhr zu Gast beim Carbon Cycle Culture Club (C4) im Kraftwerk Zschornewitz.
➤ In Ihren Forschungsarbeiten haben Sie grundlegende Erkenntnisse über die Rolle komplexer Zucker in der Medizin erbracht und so neuartige Impfansätze geschaffen, die vor bakteriellen Infektionen wie Krankenhauskeimen und anderen Krankheiten wie Malaria schützen. Gibt es Parallelen dieser Forschungsprozesse zur geplanten Forschung im Rahmen des Projekts „Chemresilienz“?
Seeberger: „Neben meinen Arbeiten im Bereich der Zuckerchemie und Glykobiologie forscht meine Gruppe seit 2001 an der Automation der Chemie und an kontinuierlichen Prozessen. Dabei geht es auch um effizientere Herstellungsverfahren und Nachhaltigkeit. Von daher sind wir an diesem Thema seit nunmehr zwei Jahrzehnten dran. Dafür habe ich zum Beispiel im Jahr 2021 den Preis für bezahlbare, grüne Chemie der American Chemical Society erhalten.“
Sie sind Verfasser des Großforschungsantrags „Chemresilienz – Forschungsfabrik im Mitteldeutschen Revier“. Für den Projektentwurf im Rahmen des „Strukturstärkungsgesetzes Kohleregion“ (StStG) für die vom Kohleausstieg betroffenen Regionen haben Sie im Juli 2021 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eine Förderungssumme in Höhe von 500.000 Euro für die erste Förderphase erhalten, die sechs Monate beträgt.
➤ Wie konnten Sie diese Zeit nutzen, um ein umsetzungsreifes Konzept für das geplante Großforschungszentrum zu entwickeln?
Seeberger: „Die Pläne für das CTC – Center für Transformation der Chemie – wurden nun im Detail ausgearbeitet. Basierend auf diesem Konzept können wir sehr zügig ein neues Großforschungszentrum in der Region etablieren, das es sich zur Aufgabe macht, die Transformation der Chemieindustrie zu katalysieren. Dabei geht es um die schnelle Umsetzung von Spitzenforschung in die Anwendung sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Region, die direkt vom Braunkohleausstieg betroffen ist.“
Perspektiven einer „Kohlenstoff-Resilienz“, die beim Carbon Cycle Culture Club am 24. Februar 2022 im Kraftwerk Zschornewitz diskutiert werden, beschreiben die Widerstandsfähigkeit des globalen Kohlenstoffkreislaufs angesichts anthropogener Einflüsse. Bei Ihrem Projekt soll die Resilienz der deutschen Chemielandschaft gestärkt werden.
➤ Wie kann das geplante Großforschungszentrum „Chemresilienz“ die „Kohlenstoff-Resilienz“ unterstützen?
Seeberger: „Der Kohlenstoffkreislauf ist natürlich ein zentraler Teil des gesamten Chemiekreislaufs. Es geht also darum sich das gesamte System anzusehen, die Ausgangsstoffe, die Prozesse und auch die Produkte. Kohlenstoff wird da immer mitgedacht und idealerweise werden Prozesse entwickelt, die weniger CO2produzieren oder sogar dieses nutzen. Es muss aber auch sichergestellt werden, dass die Chemieindustrie weiterhin in Deutschland bleibt und hier auch produzieren kann. Denn die Abwanderung der Industrie bringt aus Umweltgesichtspunkten wenig und schwächt die Versorgung Deutschlands und der EU mit Chemieprodukten.“
Durch nachwachsende Rohstoffe, kurze Transportwege sowie lokale, kostengünstige und nachhaltige Produktionsprozesse soll im Rahmen Ihres geplanten Projekts die Resilienz der deutschen Chemielandschaft sichergestellt werden.
➤ Welche nachwachsenden Rohstoffe werden verwendet und wie sehen die kostengünstigen und nachhaltigen Produktionsprozesse genau aus? Können Sie uns ein Beispiel eines solchen Prozesses nennen, der aus Ihrer Sicht besonders vielversprechend ist?
Seeberger: „Es geht um nachwachsende Rohstoffe wie z.B. Holz, es geht aber auch um den Einsatz von Abfällen und Recyclaten. Insgesamt geht es ganz einfach darum soweit als möglich die Chemieindustrie in eine Kreislaufindustrie zu überführen. Dies betrifft eine große Zahl von Prozessen von der Chemieindustrie bis hinein in die Anwendungsindustrien, die auf Chemieprodukte bauen.“
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), der Freistaat Sachsen und das Land Sachsen-Anhalt veranstalten einen zweistufigen themenoffenen Wettbewerb namens „Wissen schafft Perspektiven für die Region!“. Im Rahmen des Wettbewerbs sollen in der sächsischen Lausitz und dem mitteldeutschen Revier in den nächsten Jahren zwei neue Großforschungszentren entstehen, für die bis einschließlich 2038 je 1,25 Milliarden Euro pro Zentrum bereitsteht. Beide Zentren sollen in Sachsen angesiedelt werden. Sie haben ein Konzept für das Mitteldeutsche Braunkohlerevier entwickelt.
➤ An welchem Ort ist Ihr Projekt angesiedelt? Wie fand die Auswahl des Ortes statt?
Seeberger: „Die Chemieindustrie ist traditionell extrem stark im Mitteldeutschen Revier wo der Zugang zu günstiger Energie in Form von Braunkohle ein wichtiger Standortfaktor war. Dadurch ist es in Zukunft wichtig die vielen Arbeitsplätze in der Chemieindustrie auch nach dem Kohleausstieg in der Region zu erhalten und weitere Arbeitsplätze zu schaffen. Daher ist unser Konzept so ausgelegt, dass Arbeitsplätze auf allen Qualifizierungsstufen und vor allem für Facharbeiterinnen und Facharbeiter in den betroffenen Regionen entstehen.“
Der Tagebau Profen ist zu 75 Prozent im Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt angesiedelt.
➤ Hat Ihr Projekt auch Auswirkungen auf das Bundesland Sachsen-Anhalt und dessen vom Strukturwandel betroffene Regionen?
Seeberger: „Die Chemieindustrie ist derzeit die wichtigste Industrie in Sachsen-Anhalt. Das Land wird sich mit 30 Prozent an den Länderanteilen für das neue Großforschungszentrum im Mitteldeutschen Revier beteiligen, gegenüber 70 Prozent durch Sachsen. Daher wird ein Teil des neuen Großforschungszentrums in den durch den Strukturwandel betroffenen Regionen in Sachsen-Anhalt entstehen. Die Nähe zu der hier so starken Chemieindustrie ist ein riesiger Vorteil für das neue Zentrum aber auch für die Ansiedlung weiterer Chemieunternehmen.“
Das Interview führte Simone Everts-Lang