Kohlenstoff ist in den Materialwissenschaften ein zentrales Element. Es hat viele Facetten, weil es unterschiedliche Bindungsmöglichkeiten hat. Es kann ein Diamant sein, Graphit, aber in Verbindung mit Wasser auch Grundlage des Lebens. Das Material selbst bietet so viele Möglichkeiten auch für Kreislaufwirtschaft, die wir noch gar nicht erschöpft haben. Kohlenstoff neu denken – als Motto des Forum Rathenau ist ausschlaggebend für mein Engagement beim Forum Rathenau. Kohlenstoff mit seiner Janusköpfigkeit ist einerseits als CO₂ ein großes Problem für unsere Umwelt, für unser Klima, andererseits braucht jede Pflanze CO₂, um zu leben. Wir selbst bestehen aus Kohlenstoff. Somit ist Kohlenstoff fast das häufigste Element auf der Erde. Wir können nicht ohne Kohlenstoff, aber wir wollen auch nicht mit Kohlenstoff. Das ist das Thema des Forum Rathenau. Wie können wir dieses Hegelsche Dilemma von dieser Antithese zu einer Synthese zusammenbringen? Die Gesellschaft tut sich derzeit schwer, eine solche Synthese zu finden.
Wir, das Forum Rathenau, wollen diesen Weg in drei Achsen gehen: Kommunikation, Verständnis und Bildung. Aus der Synthese ergeben sich dann neue Geschäftsmodelle, daraus soll eine neue Wertschöpfungsmöglichkeit für die Region entstehen. Der Verein Forum Rathenau wurde nach der Kohlekommission gegründet, um nicht den Ausstieg zu zelebrieren, sondern den Umstieg zu ermöglichen. Und dieser Umstieg ist kompliziert. Unter Schirmherrschaft von Dr. Reiner Haseloff, unserem Ministerpräsidenten, haben wir das Forum Rathenau gegründet, um diesen Umstieg zu gestalten. So können wir einerseits das industriekulturelle Erbe im Andenken an den Visionär Walther Rathenau betreuen, dabei denke ich in erster Linie an das Industriedenkmal, das ehemalige Braunkohlekraftwerk in Zschornewitz, das wir wieder reaktivieren konnten, nach einer fast zehnjährigen Pause, in der niemand das Gelände betreten durfte, konnten wir es für die Öffentlichkeit zugänglich machen, unter anderem für unsere CarbonCycleCultureClub (C4)-Veranstaltungen.
Das ist ein großer Erfolg, für uns, für die Bevölkerung und die Kraftwerkssenior:innen. Auch ein Erfolg ist, dass die LEAG, die Lausitz Energie Verwaltungs GmbH, als Eigentümer des Kraftwerks Zschornewitz, Mitglied in unserem Verein ist. Mit dem CarbonCycleCultureClub (C4) haben wir zudem bereits ein interessantes Format entwickelt, um gerade über diese Doppeldeutigkeit des Kohlenstoffs unter verschiedenen thematischen Aspekten zu diskutieren und dies der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Außerdem haben wir das Schülerlabor ABI Lab in eine sichere Zukunft geführt und es thematisch stärker mit dem Bereich Kohlenstoff verknüpft. Nun wollen wir das industrielle Denkmal Zschornewitz zu einem lebendigen Ort weiterentwickeln und für die Bevölkerung öffnen, mit der TransferWerkstatt und innovativen Ideen Ansiedlungen zum Thema Kohlenstoff erwirken und weitere Kommunikationsformate entwickeln.
Wir, als Gesellschaft, müssen Frieden schließen mit Kohlenstoff und eine differenzierte Sichtweise bekommen. Wir müssen in geschlossenen Kreisläufen denken – für unsere Zukunft.
Ralf Wehrspohn hält einen in Plastik verpackten Aprikosenquark in der Hand und sagt: „Da stimmt etwas nicht!“. Auf dem Plastikdeckel des Milchprodukts aus dem Supermarkt-Kühlregal klebt ein in Plastikfolie eingeschweißter Holzlöffel. „Ich sehe mir gerne die Produkte an, die im Supermarkt angeboten werden“, sagt der Physikprofessor der Universität Halle-Wittenberg.
Der Materialmix sei das Ergebnis der EU-Gesetze für ein Verkaufsverbot von Einweg-Kunststoffartikeln, so der Wissenschaftler weiter. Aber so funktioniert es nicht. „Wir – das Forum Rathenau – wollen Lösungen anbieten, die funktionieren“, so Wehrspohn.
„Kohlenstoff neu denken.“
Er möchte, dass der Blickwinkel auf das Thema Kohlenstoff, das heute nur negativ betrachtet wird, im Sinne der Nachhaltigkeit breiter wird: „Wir Menschen bestehen zu 25 Prozent aus Kohlenstoff“, sagt der Experte für Werkstoffforschung und betont die Vielseitigkeit des Materials. „Kohlenstoff neu denken“ ist das Anliegen des Wissenschaftlers, dessen Interesse für Physik und erneuerbare Energien in jungen Jahren durch die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl angetrieben wurde.
Das Thema Kohlenstoff soll aus drei Perspektiven betrachtet werden: Forschung, Wissenschaftskommunikation und Industriekultur. Für die Forschung sind die Bereiche Wiederverwertung, äußere Natur und die stoffliche Nutzung von Kohlenstoff im Zeitalter des Anthropozän relevant. Das Material Kohlenstoff ist in Stoffkreisläufen zu finden, erläutert der Physiker: Menschen, die nach ihrem Tod eingeäschert werden, und Recyclingprozesse.
Die Wiederverwertung im Rahmen der Recyclingprozesse kann als Recycling oder Downcycling stattfinden. Je weiter sich der Umnutzungsprozess vom Ausgangsmaterial entfernt, umso weniger Informationen vom Grundstoff sind noch enthalten, sagt Wehrspohn. „Wir denken in Werkstoffen oder Elementen“, so Wehrspohn, der kürzlich das Lithium-Institut (ITEL) in Halle (Saale) mitgründete und dessen Geschäftsführung innehat.
„Wir wollen keine Verbote.”
Auch hier geht es um Nachhaltigkeit, nämlich um die Produktion von Lithiumhydroxid für die Batterieproduktion von Elektromobilen. In den vergangenen Jahren hat er sich viel mit Wasserstoff befasst. Wasserstoff als Speichermedium ist sehr eng mit Kohlenstoff verwandt.
Wo ist Kohlenstoff enthalten? Dies ist eine Fragestellung, die im Rahmen der Wissenschaftskommunikation beantwortet werden soll. Formate hierzu sind das Schülerlabor im Technologie- und Gründerzentrum des Chemieparks Bitterfeld und die Diskussionsrunde Carbon Cycle Culture Club C4, die jeden vierten Donnerstag im Monat im Kraftwerk Zschornewitz stattfindet.
Durch das Finden einer gemeinsamen Sprache der Beteiligten aus unterschiedlichen Bereichen wie Forschung, Wissenschaft, Schulen, Kultur und Industrie soll der Erkenntnisstand vorangetrieben werden, neue Denkansätze entstehen.
„Wir wollen Lösungen aufzeigen, wie es eben doch geht.“
Ralf Wehrspohn erläutert die Pläne der Vorstände des Forum Rathenau bezüglich des Bereichs Industriekultur. Sie wird beispielsweise durch die Arbeit der Kraftwerkssenioren erlebbar. Das Gelände und der Standort Zschornewitz soll entwickelt werden, erläutert Wehrspohn. Es soll die Möglichkeit für Forscherteams geben, dort im ehemaligen Verwaltungsgebäude sowie im Chemiepark Bitterfeld zu arbeiten.
Außerdem soll die Bahn, die einst die Kohle aus der Grube Golpa Nord zum Kraftwerk Zschornewitz transportierte, wieder in Betrieb genommen werden und so die Standorte Kraftwerk Zschornewitz und Ferropolis verbinden, um beispielsweise die melt!-Festivalbesucher mittels „Challenges“ für die wissenschaftlichen Fragestellungen rund ums Kraftwerk zu interessieren.
„Wir wollen keine Verbote“, sagt Professor Wehrspohn, sondern Lösungen aufzeigen, „wie es eben doch geht“. Lösungen, die praktikabel und sinnvoll sind, die nicht am Ziel vorbei gehen, wie ein in Plastik eingeschweißter Holzlöffel zur Plastikvermeidung.
Autorin: Simone Everts-Lang