Grau, blau und am besten grün – Wasserstoff wird in allen Farben seit einigen Jahren als Hoffnungsträger für die Energiewende gehandelt, nicht zuletzt durch das Spitzencluster HYPOS aus Mitteldeutschland. Als vielseitig einsetzbarer Energiespeicher verspricht Wasserstoff einen nachhaltigen Beitrag zur Energiewende und zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen zu leisten. Seine Anwendungen reichen von der emissionsfreien Energiegewinnung über die Mobilität bis hin zur industriellen Produktion. Diese vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten machen Wasserstoff zu einem Schlüsselakteur in der Suche nach umweltfreundlichen und effizienten Energielösungen bis hin Flugbenzin und Wasserstoffdörfern. Und bis 2045 sollen landesweit rund 27.000 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen, so ein aktuelles Gutachten im Auftrag des Energieministeriums aus Sachsen-Anhalt, das auch einen Zuwachs an Wertschöpfung von 1,5 Milliarden Euro pro Jahr prognostiziert.
Wird das Mitteldeutsche Revier zum Gewinner der Wasserstoffwirtschaft? Das war eine der zentralen Fragen im ersten Carbon Cycle Culture Club (C4) des Jahres 2024 aus dem Industrie- und Filmmuseum Wolfen.
Fachexpertinnen und Fachexperten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zogen Bilanz zur Wasserstoffstrategie der vergangenen Jahre auf supranationaler, nationaler und lokaler Ebene und warfen einen Blick auf zukünftige Entwicklungen.
Die Veranstaltung fand am 22. Februar 2024 ab 18 Uhr statt und wurde parallel dazu auch digital per Livestream übertragen.
Zu Gast auf dem hybriden Podium waren:
- Staatssekretär Dr. Jürgen Ude: Die Wasserstoffstrategie des Landes Sachsen-Anhalt.
- Matthias Kunath: Die Infrastruktur fit für die Zukunft machen
- Dr. Maria Fulde: Vom Biogas zum Wasserstoff
- Christian Kleinert: Der Einsatz von Algen für mehr Nachhaltigkeit
Staatssekretär Dr. Jürgen Ude: Die Wasserstoffstrategie des Landes Sachsen-Anhalt
Über die Potenziale von Wasserstoff als Energieträger der Zukunft spricht Prof. Dr. Ralf Wehrspohn, Vorstandsvorsitzender des Forum Rathenau, zunächst mit Dr. Jürgen Ude, Staatssekretär für Strukturwandel und Großansiedlungen in der Staatskanzlei des Landes Sachsen-Anhalt. Dieser betont zunächst: „Wasserstoff als Energieträger ist ein ganz wichtiges Thema im Strukturwandel- und Transformationsprozess.”
Anschließend stellt er die von der Landesregierung im Mai 2021 verabschiedete Wasserstoffstrategie für Sachsen-Anhalt vor, die die Nationale Wasserstoffstrategie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) ergänzt. Darin ist festgesetzt, dass bis zum Jahr 2030 eine Elektrolysekapazität von 1.000 Megawatt aufgebaut werden soll. Diese soll der Herstellung von jährlich mindestens 1,67 Milliarden Normkubikmeter grünem Wasserstoff dienen. Dafür hat das Land vier Leitlinien aufgestellt. Diese umfassen den Aufbau eines nachhaltigen Netzwerkes und die Zusammenarbeit mit benachbarten Bundesländern, die Einbindung der Bevölkerung und den Aufbau einer an Förderanreize gekoppelten regionalen Transport- und Importinfrastruktur. Zudem sollen die heimische Herstellung von Wasserstoff unterstützt und bereits vorhandene Infrastrukturen, Akteure und Forschungsprojekte gestärkt werden.
Zum Stand der Umsetzung der landesweiten Wasserstoffstrategie stellt Ude zunächst fest, dass Sachsen-Anhalt bereits früh dem europäischen Wasserstoffnetz beigetreten ist und heute eine wichtige Rolle in diesem Netz spiele. Als Beispiel für bereits laufende Zukunftsprojekte nennt er das Projekt „NetZeroLEJ“. Dort soll die industrielle Produktion von nachhaltigen Flugkraftstoffen, sogenannten Sustainable Aviation Fuels (SAF), innerhalb von fünf Jahren aufgebaut werden. Dafür arbeiten die späteren Nutzer Airbus, Condor und DHL u.a. mit den Unternehmen Sasol und HH2E zusammen. Unterstützt wird das Vorhaben, unter der Schirmherrschaft des Bundeskanzleramtes, von Sachsen-Anhalt, dem Freistaat Sachsen, dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.
Auch auf das Projekt „Leuna100“ geht Ude ein. Dort wurde ein neuer, hocheffizienter Katalysator zur Produktion von grünem Methanol entwickelt. Mit diesem wird es möglich sein Methanol aus nicht-fossilen Rohstoffen wie Biomasse oder Kohlenstoffdioxid zu gewinnen. Eingesetzt werden soll es in der Schiff- und Luftfahrt.
Als Ziel der Transformation der Chemieindustrie durch die Fokussierung auf neue Energieträger nennt Ude die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Die Bestrebungen zur Energiewende dürften nicht auf lokaler Ebene enden, sondern müssten auch auf nationaler Ebene vorangetrieben werden. Sachsen-Anhalt und Sachsen möchten beweisen, dass Transformation lokal möglich ist und einen Beitrag zur Veränderung leisten.
Matthias Kunath: Die Infrastruktur fit für die Zukunft machen
Einen Beitrag zur Transformation, insbesondere durch den Ausbau der Infrastruktur, möchte auch die enviaM-Gruppe leisten. Sie versorgt als Energiedienstleister in Ostdeutschland mehr als 1,3 Millionen Kundinnen und Kunden mit Strom, Gas, Wärme und Energiedienstleistungen. Als Kaufmännischer Geschäftsführer der envia THERM, ein Tochterunternehmen von enviaM, ist Matthias Kunath auf dem Podium zu Gast. Sie möchten als Unternehmen die Transformation von fossilen Energieträgern hin zu grünen Energieträgern fördern. In einer gemeinsamen Studie mit der DBI Gas- und Umwelttechnik GmbH haben sie insbesondere die Machbarkeit der Umstellung der Gasnetze auf Wasserstoff erforscht. Diese Erkenntnisse fließen beispielsweise in den Ausbau grüner Gewerbegebiete ein. Unternehmen sollen dabei an grüne Energieträger angeschlossen werden. Im Projekt „Green Bridge“ soll ein vorhandenes Erdgasnetz vollständig auf Wasserstoff umgebaut werden. Das Netz erstreckt sich dabei auf einer Länge von 78 km von Sachsen-Anhalt bis nach Sachsen. Daran angeschlossen werden sollen u.a. der Flughafen Leipzig/Halle, Porsche, DHL und TotalEnergies.
Im Projekt „Wasserstoffdorf Bitterfeld-Wolfen“ (H2 Infra) wird parallel dazu seit 2016 der Frage nachgegangen, wie sich Wasserstoff in Kunststoffröhren verhält. Dafür wurden Verlegeverfahren getestet und mögliche Veränderungen an Armaturen und Ventilen durch die Einleitung von Wasserstoff überprüft. Insbesondere Sicherheitsaspekte spielten dabei eine Rolle. Herr Kunath resümiert die Tests, dass sowohl die Rohre als auch die Anlagentechnik bereit für Wasserstoff seien. Das Wasserstoffdorf würde nun anderen Unternehmen für Tests offenstehen.
Moderator Dr. Ralf Wehrspohn erkundigt sich mit Blick auf die zu Beginn der Veranstaltung vorgestellte Wasserstoffstrategie, ob ein großflächiger Ausbau des Wasserstoffnetzes bis 2030 realistisch sei. Alleine das Genehmigungsverfahren dauere ein Jahr, meint Matthias Kunath. Hinzu komme die Herstellung der benötigten Teile und der Anschluss an das bestehende Netz. Allein der gesamte Prozess von der Bestellung bis zur Auslieferung eines Transformators dauere 36 Monate. Kunath konstatiert: „Wenn diese Kette so bliebe, dann schaffen wir das nicht.“ Als Gründe nennt er die anhalten Engpässe aufgrund der hohen Nachfrage nach Transformatoren und weist zugleich auf deutlich gestiegene Kosten z.B. für den Tiefbau und die Verlegung von Leitungen hin.
Dr. Jürgen Ude meldet sich aus dem Publikum zu Wort und weist auf den jetzt schon hohen Bedarf nach Wasserstoff hin. Als Beispielverweist er auf die Ansiedlung von Intel bei Magdeburg. Er ruft dazu auf die Herausforderungen gemeinsam zu stemmen und betont, welche bedeutende Rolle den Unternehmen in diesem Transformationsprozess zukommt.
Dr. Maria Fulde: Vom Biogas zum Wasserstoff
„Man kann sich auch dezentral versorgen“, sind erste Worte von Dr. Maria Fulde in ihrem Impulsvortrag. Sie ist Unternehmensgründerin von FLD Technologies und stellt den Gästen des Carbon Cycle Culture Clubs (C4) nun ihr Start-up „HyRegio®“ vor, das die Verfügbarkeit von Wasserstoff in Regionen fördern und zugleich wirtschaftliche Ansätze entwickeln möchte.
Zunächst skizziert Frau Dr. Fulde die Ausgangslage ihrer Arbeit, die durch zwei grundlegende Probleme gekennzeichnet ist. Erstens gäbe es eine limitierte Verfügbarkeit von grüner Energie und insbesondere von Wasserstoff. Ein Lkw mit 30 Tonnen könne momentan 250 kg Wasserstoff transportieren. Dies sei keine besonders große Menge. Zweitens sei in der Atmosphäre noch zu viel Kohlenstoffdioxid vorhanden, der reduziert werden müsse.
Mit „HyRegio®“ hat sie einen Lösungsansatz entwickelt, der mit dem in vielen Agrarbetrieben bereits vorhandenen Biogas arbeitet. Die Besonderheit dabei ist, dass einerseits Wasserstoff aus diesem Biogas hergestellt werden kann und zugleich umweltschädliches Kohlenstoffdioxid entzogen wird. Zudem kann über eine Switch-Stelle in der Anlage je nach Bedarf entschieden werden, ob man Wasserstoff und BioCarbonBlack oder Elektrizität als Endprodukt haben möchte.
In Deutschland gibt es rund 10.000 Biogasanlagen. Eine halbe Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid könnten durch diese Technologie im Vergleich zu herkömmlichen Verfahren eingespart werden. Dr. Maria Fulde ergänzt einen weiteren Aspekt: „Das ist ein Verfahren von dem wir glauben, dass es kostengünstig ist rein technologisch gesehen.“
„Herzlich willkommen in Bitterfeld“, reagiert Moderator Prof. Dr. Ralf Wehrspohn auf den Vortrag und erkundigt sich zum aktuellen Stand. Mit der Universität Stuttgart gäbe es bereits eine Pilotanlage und man befinde sich in der Vorbereitung der zweiten von drei Stufen und der Entwicklung einer Demoanlage. Alle drei Stufen sollen übrigens inmitten des Chemieparks Bitterfeld-Wolfen durchgeführt werden, so Fulde weiter.
Christian Kleinert: Der Einsatz von Algen für mehr Nachhaltigkeit
Zum Abschluss der Veranstaltung „Grünbunter Wasserstoffkreislauf“ ist Christian Kleinert zugeschaltet. Er arbeitet zusammen mit Prof. Dr. Carola Griehl am Kompetenzzentrum Algenbiotechnologie an der Hochschule Anhalt. Sie beschäftigen sich am Standort Köthen seit über 20 Jahren mit der Isolierung von Algen aus der Natur, welche Wertstoffe diese produzieren können und welche Inhaltsstoffe man aus ihnen gewinnen kann. Dafür entwickeln sie spezielle Verfahren.
Unser Alltag wird von Erdöl bestimmt. So besteht ein Smartphone beispielsweise zu 40% aus Erdöl. Mit der sogenannten In-situ-Extraktion möchten die Forschenden nachhaltigere erdölähnliche Kohlenwasserstoffe aus Algen gewinnen. Kleinert fasst die Chancen dieses Verfahren wie folgt zusammen.
Zunächst gäbe es hohe Kosten für die Aufarbeitung intrazellulärer Produkte, da es ein langwieriger Prozess sei. Allein die Ernte, Trocknung und der Zellaufschluss würden 50% bis 80% der Prozesskosten einnehmen. Ein Lösungsansatz dafür sei die Nutzung extrazellulärer Verbindungen. Das bedeutet, dass beispielsweise bei der Alge „Botryococcus braunii“ das Produkt direkt um die Alge extrahiert wird. Dadurch entfallen die Ernte, Trocknung und der Zellaufschluss. Dies führe zur Möglichkeit einer erneuten Produktextraktion wobei die Zellen aber weiterhin vital blieben. Die Algen werden dafür mit dem „Milking-Verfahren“ bearbeitet.
Als Produkt entsteht biobasiertes Algenöl, was z.B. in den Bereichen der Schmierstoffe, Feinchemikalien, Schuhsolen, Lacke und Farben, iobasierten Folien oder auch Hydrophobizitätsmitteln zur Anwendung kommen kann. Für die Zukunft wünscht sich das Forschungsteam den Bau größerer Anlagen, da dies die Kosten für das Verfahren senken könne.